Sie wurde in der Türkei geboren und lebt seit 1990 in Deutschland. Vergangenes Jahr zog Gökay Akbulut für die Linke in den Bundestag ein. In der aktuell unter dem Hashtag #MeTwo geführten Rassismus-Debatte stellt sie die Frage: „Entschuldigung, wie gut integrieren Sie denn?“
Der Hashtag #MeTwo hat in der vergangenen Woche eine Realität voller Alltagsrassismus in den Fokus gerückt, die viele Menschen mit Migrationshintergrund alltäglich erleben. Und wir haben eine Realität gesehen, die viele Menschen ohne Migrationshintergrund ebenso herausfordern sollte. Die Frage stellt sich immer wieder: Was bedeutet Zusammenleben in Deutschland? Wer muss die Aufgabe der Integration übernehmen?
In Baden-Württemberg hat fast jede dritte Person, laut dem neuesten Mikrozensus-Bericht, einen sogenannten Migrationshintergrund. Statistisch ist das im Bundesvergleich der Spitzenplatz. Daher kommt Baden-Württemberg in der aktuellen #MeTwo-Debatte eine besondere Rolle zu.
Leider hat die grün-schwarze Landesregierung nach der letzten Landtagswahl die falschen Signale gesetzt. Nicht nur wurde das unter Grün-Rot entstandene Integrationsministerium wieder abgeschafft, sondern es wurde auch kein einziger Ministerposten mit einer Person mit Migrationshintergrund besetzt. Lediglich ins Amt der Landtagspräsidentin wurde die türkischstämmige Muhterem Aras gewählt. Sie ist nun auch diejenige, die massiven Angriffen aus der rechten Ecke des Landtags ausgesetzt ist.
Die Vielfalt der Bevölkerung spiegelt sich auch in keinster Weise bei den gewählten VolksvertreterInnen wieder. Das Landtagswahlrecht muss dringend geändert werden, damit nicht nur mehr Frauen eine Chance auf den Einzug in den Landtag bekommen, sondern auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Gleichzeitig müsste das Wahlrecht auch auf Menschen ausgeweitet werden, die keinen deutschen Pass besitzen, in Deutschland aber seit langer Zeit leben. Das Mindeste wäre es, allen EU-BürgerInnen die Teilnahme an der Landtagswahl zu ermöglichen, ähnlich wie bei den Kommunal- und Europawahlen.
Deutsch auf Bewährung
Das Gefühl des „Ich gehöre zu Euch, wenn ich gewinne, und muss um meine Zugehörigkeit kämpfen, wenn ich verliere“, wie der inzwischen ehemalige Fußball-Nationalspieler Mesut Özil es bei seinem Rücktritt beschrieben hat, ist ein Gefühl, das viele Menschen teilen, die hier leben.
Die Fragen nach Zugehörigkeit stellen sich Menschen mit Migrationshintergrund und Diskriminierungserfahrungen ständig. Die Frage „Woher sie eigentlich kommen“ oder „Warum sie so gut Deutsch sprechen“ verweist sie immer an einen Ort, der offensichtlich außerhalb dieser Gemeinschaft liegt; nicht in Deutschland oder im Nicht-deutsch-sein. Diese Vorstellung ist in vielen Köpfen fest verankert.
Was auch immer wir unter Integration verstehen, die letzten Wochen haben wieder gezeigt, dass die gesamte Gesellschaft diese Herausforderung gemeinsam angehen muss.
Der Hashtag #MeTwo bündelt in den sozialen Medien die Diskriminierungserfahrungen von Kindern von MigrantInnen und Deutschen, die nicht weiße Deutsche sind. In der Schule, bei der Wohnungssuche und auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Und auch Statistiken belegen, dass Nachkommen von Einwanderern sich drei- bis viermal so oft bewerben müssen, um für ein Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Hier ist es an der Zeit, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihre Perspektive wechseln und ihre Personalpolitik ändern – und nicht die Bewerberinnen und Bewerber in die Verantwortung genommen werden.
Solange hierzulande Integrationspreise verliehen werden, um Menschen mit divers-kulturellem Hintergrund dafür auszuzeichnen, dass sie sich gut „angepasst haben“, müssten sich Deutsche ohne Migrationshintergrund in der Jury fragen, was sie eigentlich qualifiziert, so eine Auszeichnung zu vergeben. Und ob sie sich wiederum gerne von einer migrantischen Jury um ihre Integrationsbemühungen auszeichnen lassen wollen würden. Wie viele Chancen sie im Alltag Menschen gegeben haben, sich „zu integrieren“, wie sehr sie ihre Mitmenschen vor Diskriminierung geschützt haben und wie oft sie Menschen, die nicht weiß sind, einen Job oder eine Wohnung angeboten haben.
Die Frage: „Entschuldigung, wie gut integrieren Sie denn?“ sollte genau so oft fallen wie andersherum. Wir brauchen einen Perspektivwechsel. Denn die Verantwortung und die Aufgabe der Integration liegt bei uns allen. Und wir müssen aktiv gegen die Spaltung unserer Gesellschaft kämpfen. Die Antworten auf diese Fragen dürfen wir weder rechtspopulistischen Stimmen in unserem Land überlassen, noch ausschließlich auf unsere Mitmenschen mit divers-kulturellem Hintergrund abladen. Für ein gemeinsames Verständnis von Integration und Partizipation brauchen wir Respekt und Akzeptanz auf allen Seiten. Und eine gemeinsame Vision von der Gesellschaft, in der wir alle gleichberechtigt leben wollen. Da sind wir alle gefragt.