Israels Geschäft mit dem Tod

Von Myanmar über Südsudan bis in die arabischen Golfstaaten versucht Israel, seine Waffenlieferungen an Diktatoren zu vertuschen, die in brutale Kriege verwickelt sind.


Israel bildet sich viel darauf ein, eine freie, demokratische Gesellschaft zu sein, ein Teil der westlichen Welt. Nun ja, nicht wirklich. Zumindest wenn es um zwei wichtige Bereiche geht.

Einer davon – die alles andere überragt – ist die Besatzung des Westjordanlands unter der eisernen Faust des israelischen Militärs, die ihren palästinensischen Bewohnern sämtliche bürgerlichen und demokratischen Grundrechte vorenthält.

Der zweite Bereich, in dem der Mangel an Transparenz offensichtlich ist und die Regierung versucht hat, Informationen zu vertuschen, sind die Militärexporte des Landes. Auch hier ist die Zensur allgegenwärtig und unterdrückt sämtliche Informationen, die die Regierung und das Sicherheitsestablishment möglicherweise in Misskredit bringen könnten. Wir reden hier von Waffenverkäufen an Diktatoren, Terrorregimes, Verletzer von Menschenrechten und anderen zwielichtigen Regierungen.

Myanmar

Myanmar ist hier ein Paradebeispiel. Im September forderte eine Gruppe israelischer Menschenrechtsaktivisten das Oberste Gericht in Israel auf, die Waffenverkäufe an die Militärjunta des Landes einzustellen, die trotz Wahlen im Jahr 2015 faktisch noch immer an der Macht ist.

Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen und UN-Berichten ist die myanmarische Armee an systematischen ethnischen Säuberungen und Kriegsverbrechen gegen die Rohingya – eine muslimische Minderheit – beteiligt. Es wurde berichtet, dass fast eine halbe Million Menschen in das benachbarte Bangladesch geflohen sind, nachdem Tausende Menschen getötet und vergewaltigt und Dörfer in Brand gesteckt wurden.

Jahrelang verkaufte Israel Waffen an Myanmar, darunter auch Abhörtechnik, Kommunikationsausrüstung und von Israeli Aerospace Industries (IAI) hergestellte Patrouillenboote. Außerdem hat die israelische Tar Ideals Concepts myanmarische Special Forces trainiert. Auf Anfragen reagierte das Unternehmen nicht.

Eine israelische Regierung nach der anderen schämte sich zwar ganz offensichtlich für diese Deals, was jedoch nichts daran änderte, dass alle von ihnen Waffenhändler und staatliche Industrien dazu ermutigten, weiter nach Myanmar zu verkaufen. Zur selben Zeit nutzten sie die militärische Zensur, um entsprechende Information zu unterdrücken.

Woher wissen wir also von all diesen Geschäften? Weil die myanmarische Junta auf ihrer offiziellen Website stolz mit den Waffendeals prahlte und Fotos von ihren Anführern bei Besuchen in Israel postete. Dazu gehörten etwa Treffen im September 2015 zwischen Sr. General Min Aung Hlaing, dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte Myanmars, die unabhängig von der Zivilregierung des Landes handeln, anderen hochrangigen Offizieren der Militärjunta, dem israelischen Präsidenten Reuven Rivlin, dem Chef der israelischen Armee, Gadi Eisenkot, sowie Leitern der israelischen Sicherheitsbehörden und hochrangigen Vertretern der Rüstungsindustrie.

General Min Aung Hlaing mit Israels Staatspräsidenten Reuven Rivlin bei einem Treffen in Israel im September 2015. By Malaysia Mara Media, Facebook.

Hlaing schrieb auf seiner Facebook-Seite, dass er und seine Kollegen Israel Aerospace Industries in der Nähe von Tel Aviv sowie andere Rüstungsunternehmen besucht hätten.

Die China-Connection

Kürzlich erfuhr ich, dass Commtact, ein israelischer Hersteller von Kommunikationsausrüstung für Drohnen, Equipment verkauft hat, das auf von China hergestellte Drohnen installiert wurde, die wiederum von der myanmarischen Armee betrieben werden – vermittelt vom israelischen Waffenhändler Elul. Commtact ist eine Tochtergesellschaft des israelischen Drohnenherstellers Aeronautics Defense Systems. Die israelische Regierung war besonders sensibel in Bezug auf diesen Deal – nicht etwa, weil sie gegen Verkäufe an Myanmar war, sondern weil sie befürchtete, dass der Kontext chinesischer Drohnen die USA verärgern würde.

Beginnend in den späten 1970er Jahren, bereits lange vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und China, rüsteten israelische Rüstungsunternehmen im Geheimen Chinas Armee aus, abgesegnet von der israelischen Regierung. In der letzten Dekade hat Israel die Rüstungsdeals an China unter dem Druck aufeinanderfolgender US-Regierungen jedoch eingestellt.

General Min Aung Hlaing mit Israels Generalsstabschef Gadi Eizenkot bei einem Treffen in Tel Aviv 2015. By Salem Rami, Twitter.

Auf Anrufe mit Bitte um Stellungnahme gab Waffenhändler Elul keine Antwort, ein Sprecher von Commtact und Aeronautics bestätigte jedoch, dass das Unternehmen Equipment an Myanmar „gemäß den Vorschriften des Verteidigungsministeriums und mit dessen Genehmigung“ verkauft habe. Er fügte jedoch hinzu, dass das Verteidigungsministerium vor Kurzem seine Politik geändert hat und alle Lizenzen an israelische Unternehmen, einschließlich Commtact, die den Handel mit Myanmar genehmigen, auf Eis legte.

Es ist erwähnenswert, dass das Ministerium in dieser Hinsicht kein Statement abgegeben hat und wohl hoffte, die Angelegenheit unter Verschluss zu halten. Das Ministerium weigerte sich, auf die Sache einzugehen, und sagte nur: „Wir kommentieren keine Exportfragen.“ Die Geheimhaltung zielt darauf ab, Myanmar nicht zu verärgern, mit der Hoffnung, dass das Verbot früher oder später wieder aufgehoben und das Geschäft wiederaufgenommen wird.

Es kann nur angenommen werden, dass die Aussetzung der israelischen Exporte nach Myanmar nur temporär ist, als Folge des öffentlichen Drucks zu Hause, besonders von Bürgerrechtsgruppen. Einige von ihnen appellierten im September an den Obersten Gerichtshof, das Verteidigungsministerium anzuweisen, seine Verkäufe nach Myanmar einzustellen und damit der US- und EU-Linie zu folgen, die ein Waffenembargo gegen das südostasiatische Land verhängt haben. Die israelische Regierung legte Widerspruch ein, und das Gericht wies den Antrag zurück.

Alle Absprachen fanden hierbei hinter verschlossenen Türen statt. In Israel ist es also nicht nur die Zensur, sondern auch die Gerichte, die beim Thema Waffenverkäufe fest an der Seite der Sicherheitsbehörden stehen.

Waffen an Diktatoren

Waffenverkäufe sind in Israel eine Art heilige Kuh. Sie sind quasi in der israelischen DNA kodiert. Die Öffentlichkeit unterstützt in aller Regel die Politik der Regierung und zieht es vor, nichts davon zu hören, selbst wenn die Exporte im krassen Widerspruch zu universeller Moral, Menschenrechten oder Ethik stehen.

Im Jahr 2016 exportierte Israel Waffen in mehr als 100 Länder auf fünf Kontinenten, zusammen beliefen sie sich auf insgesamt 6 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht zwar nur 6-7 Prozent der gesamten israelischen Exporte, doch der Beitrag von Sicherheitsunternehmen beschränkt sich nicht auf Exporte: Sie sind die Hauptlieferanten von Waffen an die Israelischen Streitkräfte (IDF) und beschäftigen rund 100.000 Arbeiter, was sie zu einem bedeutenden Faktor für den Erfolg der israelischen Wirtschaft macht.

Die Kunden können hier in drei Gruppen eingeteilt werden. Der erste und größte Markt sind Länder, mit denen Israel diplomatische Beziehungen unterhält, wie die USA, die EU, Indien, Singapur und Aserbaidschan.

Die zweite Gruppe besteht aus Ländern, mit denen Israel zwar diplomatische Beziehungen unterhält, die jedoch von Diktatoren regiert werden, in Bürgerkriege verwickelt sind oder Menschenrechtsverletzungen begehen, wie Myanmar oder in der Vergangenheit auch Länder in Süd- und Mittelamerika oder in Afrika.

Israelische Waffenhändler verkauften während des Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea Waffen an beide Kriegsparteien. Die besorgniserregendsten Fälle israelischer Exporte nach Afrika waren diejenigen in den Südsudan. Israel lieferte auch nach dem Ausbruch des blutigen Bürgerkriegs im Land weiter Waffen. Erst vor Kurzem gab das Verteidigungsministerium unter massivem Druck lokaler Medien und ausländischer Menschenrechtsgruppen bekannt, es habe alle Militärexporte in den Südsudan eingestellt.

Waffenverkäufe als Diplomatie

Auch in dieser zweiten Kategorie hat die Zensur eingegriffen, um die Bekanntmachung von Rüstungsdeals zu verhindern, wie dies bei Aserbaidschan der Fall ist, das wegen seiner Grenze zum Iran als strategisch wichtig gilt.

Das Tabu zu diesem Thema wurde im Februar gebrochen, als der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev öffentlich zugab, dass sein Land in den letzten zwei Jahrzehnten mit Israel Deals im Wert von 5 Mrd. USD abgeschlossen hatte. Aliyev überraschte Netanjahu, der zu dieser Zeit gerade zum Besuch in Aserbaidschan war. Neben den USA, Indien und der EU ist die Kaukasusnation einer der größten Märkte für israelisches Kriegsspielzeug.

Die dritte Kategorie von Ländern, die von den hochentwickelten israelischen Waffen und Technologien profitieren – Gütesiegel „kampferprobt“, nachdem sie von der IDF eingesetzt wurden – sind diejenigen, die keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhalten. Das sind hauptsächlich arabische und muslimische Nationen.

Hier zielen die Deals nicht nur auf finanzielle Entlohnung ab, sondern auch darauf, in der arabischen Welt Fuß zu fassen und Zahlungen in Form von nachrichtendienstlichen Informationen oder anderen Gefälligkeiten zu erhalten.

In den 1980er Jahren verkaufte Israel US-gefertigte Skyhawk-Kampfjets, die von der Israelischen Luftwaffe (IAF) ausgemustert wurden, nach Indonesien – dem größten muslimischen Land der Welt. Der Verkauf wurde von den USA genehmigt. Im Gegenzug erwies Indonesien Israel Gefälligkeiten, darunter das Erteilen von Genehmigungen für israelische Experten, sich über die komplexen sowjetischen Waffen zu informieren, die von ihren arabischen Feinden eingesetzt wurden.

In den vergangenen Jahren wurden israelische Waffen und Technologien eingesetzt, um Jordanien (israelische Hubschrauber und Drohnen als Leihgabe) und Ägypten (Geheimdienstinformationen und israelische Drohnen für gelegentliche Luftschläge gegen Positionen des Islamischen Staates im Sinai) zu unterstützen.

Da Jordanien und Ägypten oberflächlich zwar diplomatische Beziehungen zu Israel unterhalten, sollten Berichte über die besonderen Sicherheits-Militär-Beziehungen kein Problem darstellen. Doch erneut ermöglicht es die Zensur, dass Informationen erst dann lokal vermeldet werden, wenn ausländische Nachrichtenmedien bereits darüber berichtet haben.

Israelische Rüstungsgüter sind wegen ihrer hohen Qualität begehrt in der Welt. Aufgrund zahlreicher Einsätze in Gaza und dem Westjordanland können unter dem Label „battle proven“ vermarktet werden. Eine Militärübung zwischen der israelischen Navy und der Air Force im Roten Meer. By Israel Defense Forces, Flickr, licensed under CC BY-NC 2.0 (edited).

Deals mit den Golfstaaten

Ein weiterer wichtiger Markt für israelische Militärexporte sind die Vereinigten Arabischen Emirate, angeführt von Abu Dhabi, und Berichten zufolge – die nie bestätigt wurden – auch Saudi-Arabien.

Die Berichte geben an, dass israelische High-Tech-Unternehmen Deals abgeschlossen haben, um das Königreich mit Geheimdienstausrüstung zu versorgen, und dass Saudi-Arabien erwägt, Israels Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ zu kaufen. Es ist auch erwähnenswert, dass in den sozialen Medien in der arabischen Welt ständig gemunkelt wurde, dass Kronprinz Mohammed Bin Salman kürzlich Israel besuchte. Saudische Sprecher bestreiten dies.

Seit einigen Jahren verhindert die eiserne Faust der Zensur in israelischen Medien Berichte über Waffenverkäufe in die arabische Welt. Diese Attitüde erwies sich als absurd und lächerlich, denn der Hauptbroker dieser „geheimen“ Deals – ein israelischer Waffenhändler namens Mati Kochavi – deckte in einem öffentlichen Seminar in Singapur aus purer Selbstgefälligkeit und einem großen Ego heraus die Deals mit Abu Dhabi auf.

„Patriotismus ist die letzte Zuflucht des Halunken,“ schrieb der englische Schriftsteller Samuel Johnson. Man kann sagen, dass Israels Verteidigungsministerium stets „Sicherheitsgründe“ als Vorwand nutzt, um jedes nur denkbare Unrecht zu rechtfertigen, das von skrupellosen Waffenhändlern, korrupten Rüstungsunternehmen und gnadenlosen Diktatoren begangen wird.

In den ersten zwei Jahrzehnten nach der Erlangung der Unabhängigkeit 1948 hoffte Israel, ein Licht unter den Nationen zu sein. Doch es wurde leider zum Waffenlieferanten für zwielichtige Regime.


Dieser Artikel von Yossi Melman erschien zuerst auf Middle East Eye und wurde von Jakob Reimann für Die Freiheitsliebe übersetzt.

Yossi Melman ist ein mehrfach preisgekrönter israelischer Journalist und Schriftsteller. Er studierte in Jerusalem und arbeitete später an der Harvard University. Melman war lange für die israelische linksliberale Haaretz tätig und gilt als Experte in Militär-, Sicherheits- und Geheimdienstfragen.

Die Freiheitsliebe sends the best wishes to Yossi Melman and to the Middle East Eye staff to London and says THANK YOU! to everyone involved for their great job – connect critical journalism worldwide!

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