Diversität der Ausbeutung – Eine Antwort auf den liberalen Antirassismus

Die Diversität der Ausbeutung; Zur Kritik des herrschenden Antirassismus” ist ein Sammelband herausgegeben von Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo, mit Beiträgen von Celia Bouali, Sebastian Friedrich, Fabian Georgi, Lea Pilone, Hannah Vögele und mit einem Vorwort von Christian Frings. In neun Beiträgen beschäftigen sich die Autor:innen mit dem Versagen des liberalen Antirassismus und legen dar, wie mit einer materialistischen Analyse von Rassismus und Ausbeutung diesem Versagen entgegengetreten werden kann.

Liberaler Antirassismus zeichnet sich dadurch aus, dass Rassismus ausschließlich als ein interpersonelles Phänomen betrachtet wird, welches sich in der Gesellschaft zwischen Individuen verschiedener Gruppen abspielt und ein Ausdruck erlernten rassistischen Gedankengutes oder Vorurteilen ist. Rassismus wird hier rein als Taten – allzu oft tödlich – und Äußerungen Einzelner begriffen und weniger als ein systemisches Phänomen. Selbst auf institutioneller Ebene, siehe Polizeigewalt (Kapitel 6 von Lea Pilone), wird Rassismus als Tat einzelner Polizist:innen verstanden, die scheinbar nichts mit der Aufgabe und Entstehung der Polizei als Institution in einer Klassengesellschaft zu tun haben.

Dementsprechend sind die Lösungsansätze auch nur auf Individuen angesetzt, mit Bildungskampagnen, Anti-Rassismus-Workshops (siehe Causa Palmer) oder zusätzlichen Regularien, die das Verhalten Einzelner ändern sollen. Genau hier setzt die Kritik dieses Sammelbands an, denn liberaler Anti-Rassismus versucht, ein Phänomen zu bekämpfen, dessen Ursprung, Ursache und Funktion es letztendlich nicht ausreichend versteht.

Rassismus und Produktionsverhältnisse

Die ersten zwei Kapitel von Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo zeigen, dass Rassismus nur im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen erfasst und analysiert werden kann und dass zu diesem Zweck ein materialistisches Geschichtsverständnis vonnöten ist. Nur wenn wir die Zusammenhänge zwischen Rassismus, Klasse und Kapital verstehen, kann Rassismus in seinem Kern begriffen und bekämpft werden. Das Konzept Rassismus ist keine natürliche Konstante, sondern ein Resultat historisch-materialistischer Gegebenheiten, argumentiert Sarbo. Notwendigerweise wird dazu nicht sofort auf die Phänomene der Gegenwart eingegangen, sondern eine kurze, jedoch gründliche Exkursion in die Genese des Rassismus-Begriffs unternommen, die man in deutschen Texten und Diskursen sehr vermisst.

Bafta Sarbo zeigt, dass die Entstehung des Rassismus-Begriffs nicht ohne die Entstehung des Kapitalismus zu analysieren und vollständig zu verstehen ist, denn es waren die expansionistischen Bestrebungen europäischer Mächte, die im Zuge ihrer kolonialen Raubzüge der Amerikas das Kapital akkumulierten, welches heute noch durch die Adern unseres Wirtschaftssystems fließt. Der Genozid an der indigenen Bevölkerung in den Amerikas stellte die Kolonisatoren jedoch vor das Problem des Arbeitskraftmangels, welches diese mit geraubten und dann gehandelten Sklaven aus dem afrikanischen Kontinent „lösten“. Um diese Praxis zu rechtfertigen, musste ein Konzept, eine Rechtfertigung gefunden werden, die die fehlende Entlohnung und das Besitzen von Menschen als Eigentum und somit als Kapital im Kontrast zur Lohnarbeit in der „alten“ Welt rechtfertigte: „Rasse“.

Materialistische Geschichtsauffassung

Rassifizierung erlaubt es, Sklaven als entmenschlichte Objekte zu sehen, zu besitzen und sie als Eigentum zu handeln. Montesquieu beschrieb diese Logik in „Vom Geist der Gesetze“ so: „Es ist uns unmöglich, diese Geschöpfe für Menschen zu halten, denn wenn wir sie Menschen sein ließen, würde der Verdacht folgen, dass wir selbst keine Christen sind.” Sarbo zeigt, dass Rasse und Rassismus demzufolge Produkte der kolonialen Ausbeutung, ein Resultat kapitalistischer Akkumulation und von der Anfangsphase des Kapitalismus ausgehend nicht zu trennen sind.

Das ist einer der zwei roten Fäden, die sich durch diesen Sammelband ziehen. Der andere ist die schon erwähnte materialistische Geschichtsauffassung, die Eleonora Roldán Mendívil zusammen mit Bafta Sarbo im prägnanten ersten Kapitel dieses Bandes darlegt. In sich selbst eine empfehlenswerte Auffrischung oder kurze Einführung in den Marxismus. Zusammen eröffnen diese Kapitel die Themenbereiche, Diskussionen und Analysen dieses Sammelbandes, die immer wieder auf einen materialistischen Rassismus-Begriff zurückgreifen, sei es beim Thema Polizei als Arm des Kapitals, der rassistisch segmentierte Arbeitsmarkt der EU, innereuropäische Migration, soziale Reproduktion und Geschlecht oder Intersektionalität und Identität.

Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo schaffen es mit diesem Sammelband, den deutschen Diskurs zum Außerdeutschen aufzuholen und liberaler Rassismuskritik eine materielle, marxistische Rassismuskritik zur Seite zu stellen. Endlich!

Eine Besprechung von Dan Weissmann.

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