In den letzten drei Jahren wurde der sogenannte Anti-Terrorkampf gegen die Al-Shabab in Somalia schrittweise hochgefahren, Donald Trump eskaliert ihn nun. Die schwierigen Bedingungen am Boden, gepaart mit Intransparenz und Vertuschungen der US-Regierung, werden auch in Zukunft wieder und wieder zivile Todesopfer hervorbringen.
Von Christina Goldbaum.
Als Ali Osman Diblawe in Bariire ankam, war er barfuß und vollkommen außer Atem. Nachdem er kurz nach dem Morgengebet in seinem kleinen Dorf Zeuge des Kugelhagels wurde, ist er die 2,5 Kilometer von seiner Farm bis in die südsomalische Stadt gerannt, so schnell er konnte.
Das war am 25. August. In den Tagen zuvor hatten er und mindestens zwei weitere Leute auf der Farm am Himmel etwas gesehen, was sie erst für einen merkwürdig aussehenden schwarzen Vogel hielten.
„Als wir am Morgen auf unsere Farmen gingen, war da etwas Kleines und Dunkles, das hoch über der Stadt flog. Als wir am Abend zurück nach Hause gingen, war es immer noch da,“ erzählte Diblawe übers Telefon gegenüber IRIN News. „Es war weit weg, aber ich dachte, das ist eine Drohne, das sieht aus wie eine Drohne.“
Besorgt näherte er sich dem lokalen Befehlshaber der somalischen Nationalarmee (SNA), um seine Besorgnis über – so vermutete er – die Überwachung des Dorfes durch die USA zum Ausdruck zu bringen.
Er erklärte, die Bauern wären, obwohl sie über Kleinwaffen verfügten – wie die meisten im ländlichen Somalia, wo es anhaltende Konflikte zwischen den Clans gibt – keineswegs Mitglieder der Dschihadisten-Gruppe al-Shabab. Er kehrte am 24. August in sein Dorf zurück, in der Hoffnung, dass man ihm zugehört hatte.
Am nächsten Morgen begann die Schießerei und Diblawe rannte los. Als er den Mut aufbrachte, nach Hause zurückzukehren, sah er die Leichen von zehn seiner Nachbarn auf dem Boden liegen. Über sie gebeugt standen die SNA-Soldaten, die sie getötet hatten – und ein Handvoll US Special Forces, die die Operation sorgfältig geplant hatten. Diblawes Warnung war auf taube Ohren gestoßen.
Lokale Medien berichteten über den Vorfall fälschlicherweise zunächst als US-Drohnenangriff. Später stellten sie richtig, dass die zehn Menschen in einer gemeinsamen US-somalischen Bodenoperation getötet worden waren – bestätigt in einer Erklärung des US-Afrika-Kommandos, bekannt als AFRICOM.
Der Überfall ereignete sich sechs Monate, nachdem Präsident Donald Trump die Vorschriften zur Beschränkung von Operationen in Somalia gelockert hatte, und fünf Monate nachdem der erste US-Soldat im Land getötet worden war seit dem berühmtberüchtigten Black-Hawk-Down-Vorfall im Jahr 1993.
Der Überfall von Bariire steht exemplarisch für die schrittweise Eskalation der militärischen Aktivitäten der USA in Somalia in den letzten drei Jahren, wobei Drohnen – bewaffnet wie auch zur Überwachung – eine zentrale Rolle gespielt haben.
Dazu gehört auch der erste Luftschlag gegen den sogenannten Islamischen Staat in Somalia am 3. November. Laut einem AFRICOM-Statement tötete der Drohnenangriff „mehrere Terroristen“ in der Nähe von Qandala, einer kleinen Hafenstadt im Nordosten von Puntland, die Ende letzten Jahres für kurze Zeit vom IS besetzt wurde.
„2011 gab es vier oder fünf, vielleicht sechs Luftangriffe und Bodenoperationen der USA. Dieser Trend setzte sich bis 2015 fort,“ erklärt Jack Serle, ein Sonderermittler des Teams für Drohnenkriegsführung des Bureau for Investigative Journalism.
„Doch im Jahr 2015 erhöhte sich das Tempo der Angriffe dramatisch und wir haben in diesem Jahr mindestens 20 Luftangriffe und Bodenoperationen zurückverfolgt – das ist der höchste Wert, den wir je verzeichnet haben.“
Gelockerte Angriffsregeln
Im März wies die Trump-Regierung Teile Südsomalias als „Gebiete aktiver Kriegshandlungen“ aus – ein Zug, der den Befehlshabern im Kampfgebiet größere Autonomie bei der Anwendung militärischer Gewalt verleiht.
Vor der Änderung dieser Politik waren die US-Streitkräfte in Somalia an die etwas restriktiveren Richtlinien der Obama-Ära gebunden, die als Presidential Policy Guidance bekannt sind.
Die Leitlinien wurden im Mai 2013 implementiert, um die Zahl der zivilen Opfer bei der Terrorismusbekämpfung zu verringern. Sie verlangten intensive Beratungen unter Kabinettsmitgliedern, um zu bestätigen, dass Targets außerhalb traditioneller Kriegsgebiete eine Bedrohung für Amerikaner darstellten und dass höchste Gewissheit darüber besteht, dass keine Zivilisten getötet werden.
Das Aufkündigen dieser Bestimmungen erfolgte nach bedeutendem Lobbying sowohl vom Pentagon als auch von General Thomas Waldhauser, dem AFRICOM-Oberbefehlshaber.
In den ersten drei Monaten nach Einführung der neuen Politik gab es jedoch keine Änderungen bezüglich der Luftschläge: Im April gab es einen Angriff, einen im Mai und auch im Juni einen.
Doch im Juli änderte sich dann etwas: In diesem Monat gab es fünf Angriffe, vier im August und drei im September, so das Bureau of Investigative Journalism.
„Das verblasst zwar im Vergleich zu anderen Ländern, in denen die USA Drohnen betreiben“, sagte Serle und wies darauf hin, dass es etwa im Jemen allein in diesem Jahr 115 bestätigte Luftangriffe gab. Aber, so fügte er hinzu, im Vergleich zu den letzten drei Jahren in Somalia „ist das ist beispiellos.“
Wer ist ein Terrorist?
Die deutliche Zunahme von Luftschlägen und Operationen in den letzten Jahren in Verbindung mit den jüngst gelockerten Regeln der Trump-Administration sowie der Vorfall im August haben in Menschenrechtskreisen Besorgnis erregt.
Forscher haben wiederholt vor den Gefahren gewarnt, wenn ausländische Streitkräfte in einem Land operieren, in dem Clankonflikte und Kleinwaffen in der Zivilbevölkerung stark verbreitet sind – so wie in Bariire.
In diesen Gebieten, in denen es zwischen verschiedenen Clans schon seit jeher Fehden um Land und Wasserquellen gibt, tragen die Bauern oft Waffen bei sich, um ihre Farmen vor Angriffen rivalisierender Clan-Milizen zu beschützen.
Zusätzlich hat die anhaltende Dürreperiode auch zu Massenvertreibungen geführt, wodurch diese bewaffneten Bauern und Viehzüchter gezwungen sind, in neue Gebiete zu ziehen, wenn das Land sie nicht länger ernähren kann. Ohne genaue Informationen kann dies wie eine Gruppe von umherziehenden al-Schabab-Kämpfern aussehen.
Obwohl oft behauptet wird, dass Waffen tragende Bauern in von al-Shabab kontrollierten Gebieten in irgendeiner Form mit den Dschihadisten kooperieren würden, um ihre Waffen behalten zu können, ist es unglaublich schwer festzustellen, inwiefern dies der Wahrheit entspricht.
Ganz besonders schwer ist es, wenn Übersetzer und Geheimdienstmitarbeiter, die den ausländischen Militärs diese Informationen zur Verfügung stellen, selbst – auch nur am Rande – in diese Clan-Fehden verwickelt sind.
„Wir haben beobachtet, dass unter bestimmten Umständen ein reales Risiko besteht, dass ausgeweitete Operationen zu einem erhöhten Schaden unter Zivilisten führen,“ sagte Laetitia Bader, leitende Wissenschaftlerin bei Human Rights Watch.
„Es könnte auch von einer ganzen Reihe von Akteuren als Gelegenheit genutzt werden, in zunehmend angespannten lokalen Konflikten Falschinformationen zu streuen,“ fügte sie hinzu.
Dies – so scheint es – war in Bariire der Fall, wo die USA anscheinend mit irreführenden Informationen arbeiteten, die von einem rivalisierenden Clan stammten, der im aktiven Konflikt mit den Menschen im Dorf stand – so vermuteten es Diblawe und viele andere.
In einer Pressemitteilung nach der Operation erklärte AFRICOM, es wisse um die „Vorwürfe über zivile Opfer“ und dass es „eine Untersuchung der Situation durchführe, um vor Ort die Fakten zu klären.“
Noch mehr versehentliche Tote
Doch Bariire ist nicht die erste Untersuchung der USA von versehentlichen Todesfällen in Somalia. Im September letzten Jahres tötete ein US-Drohnenangriff 22 Soldaten einer regionalen Miliz, mit der die USA in der Nähe von Galkayo im Bundesstaat Galmadug in Zentralsomalia zusammengearbeitet hatten.
Damals berichtete der Galmadug-Sicherheitsminister gegenüber Reportern, er vermute, die Sicherheitskräfte eines rivalisierenden Clans im benachbarten Puntland hätten die US-Streitkräfte vorsätzlich falsch informiert. Sie behaupteten, die Galmadug-Soldaten seien in Wahrheit al-Shabab-Kämpfer.
Unmittelbar nach dem Angriff behauptete AFRICOM, die US-Streitkräfte hätten einen „Selbstverteidigungsangriff“ durchgeführt, bei dem neun al-Shabab-Kämpfer getötet wurden. Doch als wütende Bewohner aus Galkayo dann aus Protest Amerika-Flaggen verbrannten, sicherte AFRICOM zu, es würde eine Untersuchung der Vorwürfe einleiten.
„Wenn Operationen, die die USA entweder unilateral durchführen, oder in denen sie die somalischen Streitkräfte unterstützen, ist es von größter Wichtigkeit, dass die USA, wenn diese Operationen schiefgehen, unverzüglich die Vorwürfe über zivile Opfer untersuchen und die Ergebnisse dieser Ermittlungen der Öffentlichkeit zugänglich machen,“ sagte Bader von Human Rights Watch.
„Wenn es zu Fällen von kriminellem Verhalten kommt und diese Operationen für illegal erklärt werden, ist es entscheidend, dass verantwortliche Personen dafür zur Rechenschaft gezogen werden.“
In Bariire wartet Diblawe noch immer auf die Ergebnisse der jüngsten Pentagon-Ermittlungen, von denen er hofft, dass sie dem Tod seiner Nachbarn und Freunde Gerechtigkeit bringen werden.
„Wir glauben nicht, dass die Amerikaner irgendeine Agenda verfolgen, uns zu töten, sie haben keine Absicht, einen Clan gegen einen anderen zu unterstützen,“ sagte er. „Aber es gibt Leute, die uns systematisch mit dem Namen ‚al-Shabab‘ brandmarken, um Unterstützung in diesem oder jenem Clankonflikt zu erhalten.“
Doch bevor Diblawe seine Antworten erhält, können sich die Somalier auf mehr Drohnenangriffe gefasst machen. Präsident Mohamed Abdullahi „Farmaajo“ und die internationalen Partner Somalias bereiten sich auf eine lang erwartete und großangelegte Offensive gegen al-Shabab vor, in der die USA als einer der stärksten Verbündeten der Regierung höchstwahrscheinlich die Schlüsselrolle spielen wird.
Dieser Artikel von Christina Goldbaum erschien zuerst auf IRIN News, einer auf Berichterstattung über humanitäre Krisen spezialisierten Nachrichtenagentur. Lest den Artikel hier auf Englisch. IRIN ist für die Richtigkeit der Übersetzung nicht verantwortlich.
Christina Goldbaum ist als unabhängige Auslandskorrespondentin in Ostafrika unterwegs. Sie studierte in Massachusetts, lebte dann für eine Zeit in Kapstadt, Südafrika und wohnt mittlerweile in Mogadischu, Somalia. Sie berichtete von al-Shabab über somalische Frauenmilizen bis hin zu Refugees. Ihre Arbeiten erschienen unter vielen anderen in Foreign Policy, The Daily Beast, The Economist, dem Wall Street Journal, USA Today oder IRIN News. Sie hat außerdem für Netflix, VICE News, AFP und AJ+ Filmbeiträge produziert. Ihr findet alle Arbeiten von Christina hier, und könnt ihr hier auf Twitter folgen.