Es müssen noch einige Hürden genommen werden, doch der historische Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien scheint beendet. Damit steht für Mazedoniens Eintritt in die EU nichts mehr im Wege. Ebenso der Eintritt in die NATO, die ihren historischen Fehler der NATO-Osterweiterung unbeirrt weitergeht.
Im nordöstlichsten Zipfel Griechenlands liegt das winzige Dorf Psarades, über Jahrhunderte Teil von Bulgarien, malerisch gelegen am Ufer des Großen Prespasees, durch den drei Landesgrenzen verlaufen, und damit auch das Dreiländereck Griechenland-Albanien-Mazedonien; pardon: Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, wie sie noch immer heißt. Das Setting am 17. Juni war also perfekt gewählt, um Völkerverständigung medienwirksam einfangbar zu machen: Griechenlands Alexis Tsipras und Mazedoniens Zoran Zaev trafen sich zur Unterzeichnung eines Abkommens, welches den seit Jahrzehnten schwelenden Namensstreit zwischen beiden Ländern endlich beilegen soll.
Worum geht es?
Die geographische Region Mazedonien erstreckt sich über fünf Länder: Kleine Zipfel in Albanien und Kosovo, eine Region in Bulgarien, der Norden Griechenlands und die gesamte Republik Mazedonien. In der Antike wurde die historische Region Makedonien von den Griechen „hellenisiert“, Griechenland beansprucht auch heute noch das historische und kulturelle Erbe des antiken Makedonien für sich.
Ab 1944 war Mazedonien eine Teilrepublik des sozialistischen Jugoslawiens und Athen hatte kein Problem mit dessen Namen, erst mit der Zerschlagung Jugoslawiens und der Unabhängigkeit Mazedoniens 1991 erhob Griechenland aufgrund der Befürchtung eventueller Gebietsansprüche im Norden Griechenlands Einspruch, obwohl diese in der mazedonischen Verfassung später explizit ausgeschlossen wurden – der Namensstreit begann.
Auf Druck Griechenlands musste sich die junge Republik daraufhin den sperrigen Namen „Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien“ geben, unter dem die UN sie offiziell anerkannte, jedoch die Auflage erteilte, Athen und Skopje sollten „zusammenarbeiten, um so bald wie möglich eine Einigung über die noch verbleibenden Fragen zu erzielen.“ (UN-Resolution 817)
Griechenland erwirkte Streichungen unliebsamer Paragraphen in der mazedonischen Verfassung und gar die Änderung der mazedonischen Flagge. Dennoch ging der Streit weiter und gipfelte im Februar 1994 in der Schließung der Grenze zu Mazedonien sowie in einem von Griechenland verhängten Handelsembargo. Die Wirtschaft agierte am Populismus ihrer Politiker vorbei, der Handel florierte: Die mit Abstand umfangreichsten Auslandsinvestitionen in Mazedonien stammen aus Griechenland, über 3.500 griechische Firmen sind im kleinen Nachbarland aktiv, 5.000 Arbeitsplätze wurden so allein in Skopje geschaffen.
Nationalisten triumphieren
Auf der politischen Bühne war die mächtigste Waffe im griechischen Arsenal stets Athens Veto gegen den von Skopje so sehr begehrten Beitritt in die EU und die NATO. Mazedonien ist seit Dezember 2005 offizieller EU-Beitrittskandidat, eine EU-Aufnahme erfordert jedoch Einstimmigkeit unter sämtlichen Mitgliedern und Athen machte seine Zustimmung daher stets von der Beilegung des Namensstreits abhängig.
Zum NATO-Gipfel 2008 in Bukarest wurde die Einladung zum NATO-Beitritt Mazedoniens nach Drohungen Griechenlands zurückgezogen. Und obwohl Mazedonien die formalen Voraussetzungen zum Beitritt zur selben Zeit erfüllte wie Kroatien und Albanien – die beide 2009 beitraten – wurde die Aufnahme ins Militärbündnis durch Griechenland blockiert.
Athens Missbrauch seiner Vetomacht ist nebenbei bemerkt völkerrechtswidrig, da sich Athen 1995 in Artikel 11 des Interimsabkommen der Vereinten Nationen darauf verpflichtete, einem Beitritt Mazedoniens in internationale Organisationen nicht im Wege zu stehen. 2011 verurteilte der Internationale Gerichtshof in Den Haag Griechenland, ohne den geringsten Zweifel an der Völkerrechtswidrigkeit am griechichen Handeln zu lassen.
Die griechische Abfuhr zum EU- und NATO-Beitritt, insbesondere die Demütigung auf dem NATO-Bukarest-Gipfel, stärkte in Mazedonien die Nationalisten, deren extreme Ansichten vom rechtsaußen Rand ein Stück näher in die Mitte der Gesellschaft rückten. Dies ging gar soweit, dass nationalistische Kräfte das historische Erbe Alexander des Großen – a.k.a. Alexander III. von Makedonien – für sich beanspruchten (ob der massenmordende Emperor eine Medaille ist, mit der man sich mit erhobener Brust schmücken sollte, sei dahingestellt). Statuen von Alexander wurden gebaut, es entstand ein regelrecht kitschiger Verehrungskult.
Die Mehrheit der mazedonischen Bevölkerung wandte sich jedoch gegen diesen Geschichtsrevisionismus der Nationalisten. Sie war sich der erpresserischen – neokolonialistischen – Situation, dass ein mächtiger Staat seinem kleinen Nachbarn vorschreiben will, wie er zu heißen habe, gewiss bewusst. Doch waren Pragmatismus sowie der Wunsch nach Fortschritt und danach, diesen historischen Klotz am Bein endlich loszuwerden, wichtiger als das tumbe Kämpfen um Formalitäten.
Widerstände gegen das historische Abkommen
Und so trafen sich am vergangenen Sonntag nun die Staatschefs beider Länder in Psarades zur Unterzeichnung des historischen Abkommens, welches den Namensstreit endgültig beilegen soll: Mazedonien streicht einige noch immer strittige Passagen seiner Verfassung und nennt sich ab Inkrafttreten dann Republik Nord-Mazedonien, Griechenland erkennt eine mazedonische Sprache, Kultur und Nationalität an und gibt sein EU- und NATO-Veto auf.
Nationalisten auf beiden Seiten sehen das Abkommen jedoch als Demütigung und historische Niederlage. Ein Abgeordneter der rechtsradikalen Goldenen Morgenröte forderte im griechischen Parlament das Militär auf, Alexis Tsipras und seine Minister festzunehmen – und damit faktisch zum Militärputsch. Der Neo-Nazi Kostas Barbaroussis wurde daraufhin aus dem Parlament geworfen, floh vor der Polizei, wurde in seinem Versteck schließlich festgenommen und wird jetzt wegen Hochverrats angeklagt. Das Schmierblatt Makeleio hatte einen mit Kugeln durchsiebten Headshot-Tsipras auf dem Cover.
ANEL (Unabhängige Griechen), die rechtsextreme Koalitionspartei des – ehemals – linken Alexis Tsipras, erklärt, der Ministerpäsident habe überhaupt nicht die politische Legitimation, um das Abkommen abzuschließen, da Tsipras Syriza ohne die ANEL-Abgeordneten über keine parlamentarische Mehrheit verfüge. Und auch die größte Oppositionspartei Nea Dimokratia lehnt das Abkommen ab, welches noch im Herbst durch das Parlament bestätigt werden muss.
Auch Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov verkündete, er würde das Abkommen unter keinen Umständen unterschreiben, wenn es denn irgendwann auf seinem Schreibtisch liege. Premierminister Zoran Zaev will diese konstitutionelle Hürde mit einem geschickten demokratischen Schritt umgehen, indem er die mazedonische Bevölkerung in einem Referendum entscheiden lässt. Entscheide sich diese für das Abkommen zur Namensänderung, so will Zaev mit Volkes Mandat als Rückendeckung im Parlament eine Verfassungsänderung anstreben, die die Unterschrift des Präsidenten nicht länger nötig machen würde.
Obwohl das endgültige Zustandekommen zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs sicher ist, bestehen kaum wohlbegründete Zweifel daran, dass sich Tsipras und Zaev gegen die Widerstände der Nationalisten am Ende durchsetzen werden und das historische Abkommen in einigen Monaten tatsächlich Realität wird.
Worum geht es wirklich?
Um eines unmissverständlich klarzustellen: Die Beilegung des Namensstreits ist eine äußerst positive Sache. Eine Welt mit einem gelösten Konflikt mehr ist eine bessere Welt. So viel zur Ergebnisseite, auf der Intentionsseite sieht es wesentlich düsterer und heuchlerischer aus.
Bis auf etwas angekratztes internationales Prestige dafür, dass es neokolonialistisch in die Angelegenheiten eines kleinen Nachbarn eingreift, gibt es für Griechenland keinen einzigen Nachteil im jahrzentelangen Status quo. Für Tsipras dient die Beilegung des Namensstreits einzig zur Selbstdarstellung als Player von internationalem Format, der sich mit seiner Unterschrift vom 17. Juni seinen Eintrag in die Geschichtsbücher sichern will, und als „Internationalisten“, dessen Ansehen und Rückhalt in der globalen Linken mit dem erniedrigenden Einknicken vor der Troika – vor Merkel und Schäuble – vollkommen zu Recht massiv gelitten haben.
Für Mazedonien gibt es hingegen nur einen einzigen Grund für die historische Unterschrift, oder besser: anderthalb Gründe. Der halbe Grund ist die Aufnahme in die EU, denn alle wirtschaftlichen Vorteile eines Beitritts genießt das Land auch heute schon: Mazedonien ist Teil von fünf Freihandelsabkommen, die bis auf wenige Ausnahmen alle europäischen Staaten umfassen, mit denen das Land barrierefrei Handel treiben kann. Mit dem Beitritt in die EU kommen lediglich einige politisch-diplomatische Vorteile hinzu.
Worum es am 17. Juni also im Kern ging, ist der NATO-Beitritt des kleinen Balkanlandes. Bereits im Januar 2014 erklärte der damalige Ministerpräsident Nikola Gruevski im Interview mit CNN, sobald der Namensstreit beigelegt ist, „können wir … sofort der NATO beitreten.“ Nur darum geht es.
Die NATO geht ihren Weg des historischen Fehlers unbeirrt weiter. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – und den zweifelsfrei belegten Zusicherungen des Westens, die NATO „keinen Inch nach Osten auszudehnen“ – wurden 13 weitere Länder in das Kriegsbündnis aufgenommen. Mazedonien wird jetzt bald das 14. Land der NATO-Osterweiterung: Und damit NATO-Mitglied Nummer 30.
Die Verantwortung für die Weiterführung dieses historischen Fehlers liegt gewiss nicht in Skopje: Wer würde einem 2-Millionen-Einwohner-Land schon den Wunsch verübeln, einem Bündnis beitreten zu wollen, welches über 600 Millionen Menschen unter sich bündelt?
Es ist die NATO-Führung, die diesen historischen Fehler begeht, es sind Berlin, Paris, London und an der Spitze: Washington. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte der Westen einfach nicht aufhören zu siegen. Ein Land nach dem anderen wurde zum Target der aggressiven NATO-Expansion. Sicherheitsbedenken Russlands wurden abgetan und belächelt. Das Ost-West-Verhältnis ist wieder von Säbelrasseln, Misstrauen und einer Propagandaschlacht dominiert, wie wir sie alle sicher auf dem Müllhaufen der Geschichte verwahrt glaubten – mit dem Ergebnis, dass bald drei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Kriegs der heiße Krieg gegen Russland anno 2018 wieder möglich erscheint.
Und Mazedonien wird das nächste Bauernopfer dieses historischen Fehlers – dieser historischen Dummheit.
Es sei an dieser Stelle auf Jakobs NATO-Special hingewiesen, in dem Ihr ausführliche Infos und Analysen zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft des mächtigsten Angriffsbündnis der Geschichte erhalten könnt: Die NATO. Eine Tragödie in drei Akten.