Können zwei Milliarden Menschen irren, wenn sich diese regelmäßig von Insekten ernähren? Was in Europa unvorstellbar und wie eine Mutprobe erscheint, schreckt in anderen Teilen der Erde schon lange keinen ab. Als Proteinquelle sind Insekten wie Mehlwürmer oder Grillen äußerst beliebt, immerhin lassen sie sich vielseitig zubereiten und sind außerdem wesentlich klima- und umweltschonender als die konventionellen Eiweißträger der Industrieländer: Schweine-, Rinder- und Hühnerfleisch. Nicht nur Wissenschaftler*Innen und Klimaschützer*Innen werben für die Nahrungsquelle, immer mehr Konsument*Innen erwägen Krabbeltiere dem klassischen Fleisch vorzuziehen. Aus gutem Grund, findet auch die Arte-Dokumentation „Vorsicht, Der Mehlwurm kommt! Das Essen der Zukunft?“.
Die Korrelation zwischen Waldrodung, anschließender Landnutzung für die Viehhaltung und Klimawandel ist unumstritten. Ein Drittel aller Anbauflächen dieses Planeten werden zum Futtermittelanbau für die Agrarindustrie verwendet, Tendenz steigend. Natürliche Flächen, also Lebensraum für Mensch, Tier und Pflanzen wird so der Nahrungsmittelherstellung geopfert, Treibhausgasemissionen steigen und bislang sträubt sich die internationale Gemeinschaft diesen desaströsen Trend wirksam einzudämmen. Die Treibhausemissionen aus Tierhaltung übersteigen die Emissionen, die dem globalen Verkehr entstammen. Würde nur ein kleiner Teil umdenken und die ressourcenintensiven konventionellen Formen der Tierhaltung und Fleischproduktion gegen die nachhaltige Insektenzucht eintauschen, wäre dem Klima bereits erheblich geholfen, finden renommierte Wissenschaftler. 1700 Millionen Hektar Fläche würde neu genutzt werden können, das ist 70 Mal die Fläche Großbritanniens. Zudem werden keine Antibiotika benötigt, die die massenhafte Tierhaltung Europas braucht, um möglichst viel Vieh auf wenig Raum zu halten und die Übertragung möglicher Krankheitserreger zu verhindern. Einfach so weitermachen, werd auf Dauer nicht mehr funktionieren und vor Jahrzehnten seien Sushi, Garnelen, Krebse und Muscheln alles andere als massentauglich gewesen, argumentieren Befürworter*Innen.
Wo Gesetze und politischer Wille fehlen, treten kreative Konsument*Innen und Jungunternehmer*Innen an die Stelle, mehr Nachhaltigkeit im täglichen Essverhalten zu erreichen. Zwei deutsche Start-up-Unternehmer sind genau dieser Idee gefolgt und haben nichts Geringeres vor, als die Nahrungsgewohnheiten des europäischen Kontinents zu revolutionieren. Die Wissenschaft und die Vereinten Nationen wissen sie bei ihrem Vorhaben hinter sich, nun geht es darum, den deutschen Gesetzgeber und die Verbraucher*Innen von den mannigfaltigen Vorteilen der proteinreichen Insekten als Nahrungsquelle zu überzeugen. In Deutschland sind verarbeitete Lebensmittel aus Insekten bislang verboten, wohl vor allem weil die Fleischproduzenten von ihrer starken Lobbyarbeit Gebrauch machen können. Dagegen sind Burger aus Mehlwürmern beispielsweise in Belgien und den Niederlanden keine exotische Rarität. Richtig zubereitet, bieten die Insekten eine Vielzahl an uns bekannten Gerichten, sodass auch die optische und psychologische Umstellung von Rind- auf Mehlwurmburger nicht ganz so schwerfiele. Die EU hat seit kurzem die Entscheidungsgewalt über die Neuzulassung von insektenhaltigen Lebensmitteln. Nicht nur für den europäischen Kontinent bietet dies eine große Chance, die Essensgewohnheiten umzustellen und so die Situation für Nutztiere, Verbraucher*Innen und Umwelt und natürliche Ressourcen schlagartig zu verbessern.