Grenzdebatte mal andersrum!

Spätestens seit dem Auftreten von PEGIDA 2014 debattiert die Gesellschaft über Migration und deren Regulierung. Spätesten seit dem drohenden und nun erfolgten Einzug der AfD in den Bundestag wird auch in der LINKE darüber diskutiert, ob wir weiterhin offene Grenzen fordern, oder wie eine Zuwanderungs- und Asylregulierung nach LINKEn Vorstellungen aussehen sollte.

Dabei ist tatsächlich allen Linken- Debattenbeiträgen gemein, dass Ihnen am Wohlergehen der Einwanderungswilligen und bereits hier lebenden gelegen ist. Ebenfalls gemein ist Ihnen, der Blick darauf was denn die Folgen von offenen Grenzen wären. Kaum beleuchtet dagegen wird der Aspekt, was denn die Folge von geschlossenen Grenzen wäre. Um nicht mehr und nicht weniger soll es in diesem Artikel gehen. Dieser Diskussionsbeitrag soll und wird keine Vorschläge für die Gestaltung von Migration unterbreiten. Gerade weil dieser Aspekt so wenig diskutiert und doch so umfangreich ist, erhebt dieses Papier keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist auch nicht abschließend durch Studien unterbaut.
Warum ich mich zu Wort melde und warum uns das alle angeht
Meine Heimatstadt Duisburg ist durch Migration geprägt, ja eigentlich erst durch Migration entstanden. Und hierbei sind die meisten Menschen gekommen, weil das Leben in ihrer Heimat von Not geprägt war. Kaum einE DuisburgerIn kann auf Vorfahren in der 4. Generation zurückblicken, die damals schon in Duisburg wohnten. Wahrscheinlich niemand hier hat ausschließlich Vorfahren, die schon vor 100 Jahren in Duisburg wohnten. So sind auch zwei meiner Urgroßväter um die Jahrhundertwende aus Schlesien eingewandert, weil dort Armut herrschte und sie sich hier Jobs in der Industrie versprachen. Und auch diese Einwanderungsbewegung sah sich als „Polacken“ mit Ausgrenzung konfrontiert.
Duisburg hat durch zwei Faktoren einen starken, wenn auch meist unterbewussten Bezug zu Grenzen: 1. Die Nähe zur niederländischen Grenze 2. Den wohl größten Binnenhafen der Welt.
Es gehört zu der ganz normalen Gestaltung des Wochenendes der Ruhrgebietsmenschen, einen Besuch bei den 2 Brüdern abzustatten: Gerade einmal (wenn überhaupt) 40 Autominuten entfernt, wird durch die niederländische Stadt Venlo geschlendert um dann dort auch Einkäufe zu tätigen. Es fahren Züge und sogar ein Linienbus von Duisburg aus stündlich über die Grenze. Und die Jugend vom Niederrhein kennt genau die Waldwege über die sie mit dem Fahrrad schnell über die Grenze kommen, um in Kaffeeläden zu gehen. Gerne machen Familien auch einmal einen Wochenendtrip ans Meer, selbstverständlich nach Holland.
Der Hafen verteilt Waren aus der ganzen Welt in der ganzen Region. Immer mehr Flusskreuzfahrtschiffe bringen Touristen nach Duisburg und zeigen, dass Duisburg nicht (mehr) nur Kohle und Dreck ist. Der Duisburger Hafen ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der Stadt und hat einen gewichtigen Beitrag zum (vergangenen) Wohlstand in der ganzen Region beigetragen. Explizit auch den Wohlstand der Arbeiterinnen und Arbeiter. Das war allerdings nur möglich, weil die Binnenschiffer schon früh internationale Solidarität organisiert haben. Anstatt auf Abschottung zu setzen, haben sie grenzüberschreitende Streiks organisiert und nur dadurch gute Löhne und Arbeitsbedingungen erstritten. Nicht wenige Einwohner sind als Binnenschiffer in Duisburg geblieben, weil sie sich hier in einen anderen Menschen oder die Stadt verliebt haben.
Deshalb möchte ich mit diesem Beitrag dazu anregen über die Konsequenzen wie auch immer geschlossener Grenzen nach zu denken.
Wie soll das überhaupt gehen?
Zunächst einmal könnten die alten Grenzanlagen wieder in Betrieb genommen, der Schlagbaum einfach runtergeklappt werden. Viele Grenzstationen sind aber schon abgebaut und müssten neu aufgebaut, bestehende Anlagen müssten ertüchtigt werden. Alleine die Berechnung der Kosten, die hierfür anfielen, bedürfte einer großangelegten Studie. Sie dürfen sich aber im dreistelligen Millionen-, wenn nicht gar Milliardenbereich bewegen. Geld für das auch KiTas und Schulen gebaut und ertüchtigt werden könnten. An diesen Grenzen müsste permanent Personal den Grenzverkehr kontrollieren. Personal, das auch in KiTas und Schulen eingesetzt werden, oder sich auf die Jagd nach Steuerhinterziehern machen könnte.
Nun sind, wie schon erwähnt auch die nicht offiziellen Straßen und Wege, die nicht über offizielle Grenzübergänge führen, bekannt. Wer also illegal, ohne Überprüfung die Grenze überschreiten will, biegt also 500 Meter vor dem Grenzposten auf Waldwege ab. Damit die Grenzposten also ihre gewünschte Wirkung erzielten, den Grenzverkehr zu kontrollieren, müsste also der Rest der Grenze mindestens durch einen Zaun abgeriegelt werden. Griechenland hat bereits einen solchen Zaun zur türkischen Grenze errichtet. Die Kosten beliefen sich auf 5,4 Mio. € für 12,5 Kilometer (Quelle: Zeit online). Das sind rund 2,4 Mio. € pro Kilometer. Würde also ein solcher Zaun um die komplette Landgrenze der Bundesrepublik gebaut werden, lägen die Kosten bei Schätzungsweise 8,7 Mrd. €. Das alleine ist schon die Hälfte der Kosten, die auf dem Höhepunkt, die Unterbringung von Geflüchteten gekostet hat.

Ein Zaun aber muss gewartet werden. Um Zerstörung des Zauns oder Überwindung des Zauns zu unterbinden, muss es dort engmaschige Kontrollen geben. Wie viel Personal- und Materialkosten das brächte, ist kaum abzuschätzen.
Ein Blick in die Welt und die Geschichte zeigt uns aber, so mancher Staat, ja schon Supermächte sind an ihren befestigten Grenzen zerbrochen. Während das anfängliche Erfolgsrezept des antiken Roms die Integration anderer Völker und Kulturen war, hat es sich ab dem 1. Jhdt. n Chr. immer mehr eingegrenzt. Zunächst einmal überwuchsen die Kosten für diese Grenzen die Kapazitäten des römischen Reiches. Auf der Anderen Seite gewannen die Grenzlegionen immer mehr an Macht, so dass diese die Kaiser einsetzten. Gerne auch mal jede Einheit ihren eigenen Kaiser, was zu mehreren Gegenkaisern und damit zu Bürgerkriegen führte. Das Eindringen insbesondere germanischer Räuberbanden vermochten sie dennoch nicht zu beherrschen. Noch Anfang des 4. Jahrhunderts wurde es eingewanderten Stämmen erlaubt im Imperium zu siedeln. So war es am Ende Alarich, der eigentlich ebenfalls nur die Erlaubnis für seinen Stamm Teil des römischen Reiches zu werden verlangte, der das Ende Roms besiegelte, als diese seine Forderung abschlug.
Auch die jüngere Geschichte Deutschlands kennt einen Staat, der einen Teil seiner Grenze massivst abschottete. Selbst diese tödliche Grenze vermochte es nicht Menschen davon abzuhalten der DDR den Rücken zu kehren. Alleine die Materialkosten der DDR-Grenze lagen in etwa so hoch, wie die Verschuldung der DDR bei ihrem Zusammenbruch. Die moralische Bedeutung dieser Grenzanlage sollte hinlänglich bekannt sein.

Was tun mit der „ungewünschten“ Migration?

Bisher konnte keine noch so stark gesicherte Grenze Menschen davon abhalten selbige zu überwinden. „Keine Mauern keine Gräben dieser Welt- Nicht mal der größte Ozean- Sind zu hoch, zu tief, zu weit- Wenn Dir nichts mehr übrig bleibt“, lautet der Refrain des Liedes „Odyssee“ der Band „Fahnenflucht“ aus Duisburg und Umgebung. Auch in den USA, wo es schon lange geschlossene und streckenweise schwer gesicherte, teure Grenzen gibt, gibt es sehr viele Menschen, die die Grenze überwunden haben, weiterhin überwinden und sich in den USA niedergelassen haben und weiterhin niederlassen. Derzeit ist ein Lied von Camila Cabello in allen Radios zu hören. „Havana“ bezieht sich ausdrücklich auf die sogenannten „Dreamer“, Kinder aus Familien, die nicht legal in die USA zogen. Geschätzte 11,1 Mio. Menschen müssen sich vor dem Staat verstecken, können die Rechte auf Bildung und so weiter nicht wahrnehmen. Das ist ein großes Drama. Sie und ihre Eltern bleiben meist am äußersten Rand der Gesellschaft gefangen. Sie können ebenso wenig auf die (wenigen) Arbeitsrechte zurückgreifen und müssen die Jobs zu den Bedingungen annehmen, die ihnen angeboten werden. Was für die „Illegalen“ eine Tragödie ist, ist auch für die Gering- und Normalverdienenden US-Amerikaner nicht gut, da so eine billig Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt entsteht. Auch das kennen wir schon in Duisburg: Menschen, die die EU-Freizügigkeit nutzen, um nach Duisburg zu kommen, erhalten keine Unterstützung durch den Staat. So sind sogenannte „Arbeiterstriche“ in Duisburg entstanden. Dort bieten die Menschen ihre Arbeitskraft billig für einfache Arbeiten an, etwa im Garten- und Landschaftsbau. Gleichzeitig finden ausgebildete Gärtner keine Stelle. Abgesehen davon, entsteht so bittere Armut und die mit ihr verbundenen Probleme für die gesamte Stadtgesellschaft. Wer also versucht durch geschlossene Grenzen Migration zu illegalisieren schafft damit illegale Migration. Illegale Migration wiederum schafft Probleme für die Gesellschaft und extreme Probleme für die Betroffenen.
Schützen geschlossene Grenzen tatsächlich die alteingesessenen Lohnabhängigen?
Es wurde bereits erwähnt, dass etwa internationale Streiks auch in Duisburg erst gute Bedingungen für Binnenschiffer gebracht haben, sowie dass Menschen, die sich gegen die Erlaubnis des Staates niedergelassen haben eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Ja, auch wenn Menschen legal immigrieren, bringen sie nicht direkt Jobs mit und sind nicht immer die (angeblich) so gesuchten Facharbeiter. Sie stellen damit auch eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt dar. Da sie aber legal Arbeit suchen, können sie auf die jeweiligen Arbeitsrechte zurückgreifen. Zuständige Gewerkschaften und Behörden wissen ob und wo sie zu welchen Bedingungen arbeiten und Steuern zahlen. Sie üben also nicht so sehr den Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen aus.
Im Gegenteil zeigen diverse Studien, dass zugewanderte mit der Zeit mehr Jobs schaffen, als Alteingesessene. Auch das angebliche Problem der Zuwanderung in die Sozialsysteme ergibt sich mit der Zeit von selbst. Immer wieder zeigen Statistiken, dass die Gruppe der Zugewanderten mehr in die Sozialsysteme einzahlt, als Zugewanderte von den Sozialsystemen profitieren.
Und wie sieht es mit denjenigen aus, die eben nicht migriert sind? Wenn die Menschen in anderen, weniger reichen und entwickelten Ländern bleiben, so konkurrieren sie dort um Arbeitsplätze, was wiederum von den Unternehmen auch dort genutzt wird um Druck auf die Löhne auszuüben. Sinken dort die Löhne, wird es für Unternehmen immer attraktiver sich dort anzusiedeln. Nicht umsonst gibt es die Abwanderung von Unternehmen oder deren Androhung bei Tarifverhandlungen. Solange das Kapital und Waren und nun immer mehr Dienstleistungen Grenzen passieren, stehen sich die Lohnabhängigen als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt gegenüber. Es sei denn sie solidarisieren sich und kämpfen gemeinsam um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, wie es damals die Binnenschiffer auf dem Rhein getan haben.

Auswirkung auf Konsumenten und Wirtschaft

Auch wenn der Warenverkehr theoretisch ein anderen zu debattierendes Feld bezüglich Grenzen ist, so leben wir in einer Gesellschaft, die gar nicht mehr ohne grenzüberschreitende Warenverkehre funktionieren kann. In jedem Handy sind Materialien aus verschiedenen Ländern. Die meisten Menschen tragen eine Jeans, deren Grundstoff Baumwolle nicht (ausreichend) in Europa hergestellt wird. Auf die Banane will auch kaum jemand verzichten. Sind nun aber die Grenzen für Menschen geschlossen, so müssten auch die Warenverkehre direkt an der Grenze kontrolliert werden, ob sich dort nicht blinde Passagiere versteckten. Das führt unweigerlich zu langen Aufenthalten an der Grenze, selbst wenn genügend Personal da wäre um etwa jeden LkW direkt zu kontrollieren. Das würde die Produkte verteuern, was direkte negative Auswirkung insbesondere für diejenigen in unserem Land hätte, die sowieso schon ein geringes Einkommen haben. Die Bundesrepublik ist aber auch besonders ein Industrieland. Und die Rohstoffe für die verarbeitende Industrie kommen sehr oft aus aller Welt. Verzögerungen bei der Lieferung an der Grenze würden die Rohstoffe verteuern, Unsicherheiten bei der Zulieferungen schaffen, damit Löhne unter Druck setzen und Arbeitsplätze gefährden. Besonders in einem Rohstoffarmen Land wie Deutschland würden geschlossene Grenzen die lohnabhängige Bevölkerung also gefährden.

Welche Folgen hätten geschlossene Grenzen für die Lebensqualität?

Ein altbekanntes Thema und auch eher ein soft-fact. Doch zum Ende hin sollen auch die schönen Seiten der offenen Grenzen erwähnt werden. Wie eingangs erwähnt ist es Standard im Ruhgebiet mehrfach im Jahr die Niederlande zu besuchen, aber auch in anderen Grenzregionen sollte es alltäglich sein Grenzen zu überqueren. Was ist nun aber, wenn eine Familie besagten Kurztrip an die Nordsee machen oder einfach nur mal Kaffee in Venlo kaufen möchte? Die deutschen Staatsangehörigen sind das reisefreudigste Volk der Welt! Zumindest auf der Heimreise von Urlaub oder Ausflug, würden durch die Personengrenzkontrollen lange Verzögerungen entstehen. Selbst in Fahrzeugen mit Klimaanlage sind Staus kein Vergnügen. Die Spontanität ginge verloren, so müssten Reisen oder Kurztrips länger geplant und im schlimmsten Fall (andere Länder würden wahrscheinlich mit der Grenzschließung nachziehen) sich den Urlaub erst einmal staatlich Genehmigen lassen müssen. Ich habe es persönlich nicht mehr miterlebet, dass für Reisen innerhalb Europas Visa beantragt werden mussten. Ich erlebe es aber wenn mein persönliches Umfeld Reisen außerhalb Europas unternimmt, welche bürokratischen Hürden da erstmal genommen werden müssen. Das möchte ich in Europa nicht mehr erleben müssen.
So würde die Welt viel kleiner, viele gute Erfahrungen, neues Wissen, Innovationen blieben so den Menschen verschlossen.
Und hier noch einmal ein Rückgriff auf die Geschichte: Hochkulturen und entwickelte Zivilisationen sind immer nur da entstanden, wo sich Kulturen mischten.
Schließen wir unsere Grenzen für Andere, so sperren wir uns selbst ein und nehmen uns selbst ein großes Stück an Freiheit.
Zu guter Letzt…
…kann in einer solchen Debatte der moralische Aspekt, entgegen der Ursprünglichen Ankündigung sich nur auf die Folgen der Grenzschließung zu beziehen, nicht außer Acht gelassen werden.
Es bleibt die grundlegende Frage: „Woher nehmt ihr euch das Recht, zu bestimmen, wer darf hier, leben, denken und gestalten nur mit staatlichen Papier? Jeder Mensch hat gleiches Recht, ganz egal in welchem Land, solidarisch Hand in Hand“ (aus dem Lied „Niemals“ von „Tut das Not“)

 

Ein Beitrag von Lukas Hirtz, Kreissprecher der Linken Duisburg.

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