Foto: Jimmy Bulanik

Terrorismusbekämpfung oder Krokodilstränen?

Wir kommen von einem wunderschönen Tag nach Hause. Wir blicken auf Facebook.Terroranschlag. Frankreich. Es gibt Tote und Eine Geiselnahme im Bataclan. Langsam wird uns gewiss, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche Nachricht handelt. Wir schalten die Nachrichten ein. Je länger man zuhört, umso entsetzlicher werden die Nachrichten. Irgendwann um 4 Uhr Morgens siegt die Müdigkeit über die Schockstarre. Wir gehen schlafen und wissen, dass wir in einer veränderten Welt am nächsten Tag aufwachen werden.

Am nächsten Morgen erwartet uns Routine. Nicht die alltägliche. Sondern das, was inzwischen nach Terroranschlägen in der westlichen Welt zur Routine geworden ist. Facebook Profilbilder in den Farben des betroffenen Landes. Solidaritäts-Hashtags bei Twitter, Blumenmeere vor den Botschaften. Die Rufe nach stärkerer Überwachung, notfalls Einschränkungen bei den Persönlichkeitsrechten. Politiker treten vor die Kameras. Sie suchen nach immer wieder neuen Worten, um ihre tiefe Anteilnahme auszudrücken. Und dann, das Versprechen, sofort alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um den Feind zu bekämpfen.

Und mir als Journalistin, die vor kurzem aus Ostanatolien, also aus dem größtenteils von Kurden bewohnten Gebiet der Türkei zurückgekehrt ist, kommt an genau diesem Punkt sprichwörtlich der Kaffee hoch. Die Krokodilstränen der Politiker – sie sind noch schwerer zu ertragen als die Verschwörungstheorien über die Entstehung des Islamischen Staates einiger verwirrter Geister im Internet, daß der IS von den USA oder des sogenannten USraels auf dem Reißbrett geplant wurde, um die Welt ins Chaos zu stürzen. Manche gehen sogar soweit, dass in Diskussionen im Internet behauptet wird, die Terroranschläge seien nur gespielt und die Opfer keine Opfer sondern nur Darsteller.

Diese Theorien scheinen zunächst eine plausible Erklärung zu sein für eine unfassbare Grausamkeit, die der menschliche Geist kaum fassen kann. Doch meist entpuppen sich solche Verschwörungstheorien als antisemitisch, weil sie letztlich in den Wahn einer jüdischen Weltverschwörung führen. Vor allem aber vernebeln sie auf fatale Weise die Sicht auf die realen Zusammenhänge. Denn wer sich einmal mit den gesicherten Fakten beschäftigt, der wird seinen Augen und Ohren nicht mehr trauen, wenn Angela Merkel Frankreich nun die volle Unterstützung im Kampf gegen den Terror zusichert.

War sie nicht gerade noch vor einigen Wochen in der Türkei? 

Gerade kurz vor den Wahlen was einem Wahlgeschenk an den türkischen Präsidenten Erdogan gleichkam. Nein, die Übelkeit setzt nicht erst ein als gemeldet wird, das türkische Fußballfans die Schweigeminute für die Opfer der Pariser Anschläge mit „Allauh Akbar“-Rufen stören. Wie tapfer muss Angela Merkel die Augen vor der Tatsache verschlossen haben, dass die türkische Armee zur gleichen Zeit die kurdische Bevölkerung mit wochenlangen Hausarresten traktierte, Privatwohnungen bombardierte und Menschen, Frauen und Kinder erschoss. Alles unter dem Vorwand der „Terrorbekämpfung“. Ob sie im Stillen gewusst hat, daß Erdogan dies alles nur inszenierte, um Mittels der neu aufflammenden Spannungen mit den Kurden vor den Wahlen Chaos im eigenen Land zu stiften, um sich dann als starker Mann in Szene zu setzen, als einzige Möglichkeit, dem Chaos wieder Herr zu werden?

Schon damals war klar, dass der türkische Geheimdienst MIT Waffen an den Islamischen Staat schmuggelte. Veröffentlichte Videos belegten, dass die LKWs, die vor dem Grenzübergang Reyhanli gestoppt wurden, bis an den Rand mit Waffen beladen waren. Der Ministerpräsident behauptete, es handle sich um „humanitäre“ Hilfe für die Turkmenen. Aber warum hatten der Regierungsbezirk, die Staatsanwaltschaft und die Polizei sowie der zuständige Geheimdienstchef der Region nichts von dem angeblich humanitären Transport gewusst? Wenn es sich hierbei um humanitäre Hilfe gehandelt haben soll, weshalb wurde dann eine reguläre Untersuchung in diesem Fall nicht zugelassen? Stattdessen wurden die untersuchenden Staatsanwälte kurzfristig aus dem Amt befördert.

Weitere Dokumente, die am 14.September 2014 von ODA.TV veröffentlicht wurden bestätigten, dass der Saudische Emir Bender Bin Sultan den Transport von Waffen für den Islamischen Staat durch die Türkei finanzierte. Demnach landete ein Flugzeug aus Deutschland mit insgesamt drei Containern auf dem türkischen Flughafen Etimesgut. Einer der Container war für Gaza bestimmt, die anderen beiden für ISIS.

Nach den Aussagen eines IS Offziers gegenüber der Washington Post werden IS Kämpfer in der Türkei in Städten wie Reyhanli auch medizinisch behandelt. Und warum löscht die Türkei zeitweise das Licht an der Grenze zu Syrien? Um IS Kämpfer ungestört passieren zu lassen? Bei Youtube kursiert ein Video. Es zeigt türkische Lastwagenfahrer an einem Grenzübergang zum Irak. Sie möchten nicht über den Bestimmungsort ihrer Waren sprechen – müssen sie auch nicht – der Bestimmungsort wurde auf die Ware geschrieben: Mossul. Hochburg des IS. In den Reisepässen getöteter IS Kämpfer finden sich immer wieder Ausreisestempel aus der Türkei. Oder es sind direkt türkische Pässe und Dienstmarken des türkischen Militärs. Aussagen und Berichte über solche Vorgänge gibt es viele, viel zu viele, um sie alle aufzählen zu können. Und dort, wo die türkische Grenze zum Irak von IS Kämpfern „Gateway to Jihad“ genannt wird, bleibt sie für jene geschlossen, die GEGEN den IS kämpfen.

Anstatt den lebenswichtigen Nachschub für den IS über sein Land auszutrocknen, bombardiert Erdogan die Stellungen der PKK, YPG und YPJ. Der Kämpfer und Kämpferinnen die zurzeit am effektivsten den Islamischen Staat bekämpfen.

Und die Politiker? Schweigen. 

Sie schweigen zu den Angriffen auf die Zivilbevölkerung der Türkei und auf die Stellungen der im Kampf gegen den IS befindlichen Truppen, da sie dem Credo Erdogans und der türkischen Nationalisten folgen, dass es sich bei diesen Kämpferinnen und Kämpfern der YPG und der PKK angeblich um Terroristen handelt. Gemeint sind die kurdischen Kämpfer der PKK, die sich in den 90er Jahren nach jahrelanger Unterdrückung auf einen verzweifelten Guerillakrieg einließen, um der langsamen Vernichtung der kurdischen Kultur durch Assimilation und Vertreibung ein Ende zu setzen. Dass die PKK seit über 10 Jahren eine ganz andere Ausrichtung und Strategie verfolgt, wird nach wie vor ignoriert.

Die PKK entschuldigte sich Anfang des Jahres sogar offiziell bei Deutschland für die damaligen Aktionen. Doch man hört weg – schließlich möchte man den türkischen Bündnispartner nicht verärgern. Die PKK ist die einzige an diesem Konflikt beteiligte Partei, die nicht für einen eigenen Nationalstaat kämpft. Der Nationalstaat an sich ist für die PKK ein längst überholtes Paradigma. Dafür sind sie in vielen gesellschaftlichen Belangen wie der Gleichberechtigung der Geschlechter, einem umsichtigen Umgang mit der Ökologie und einer positiven Haltung gegenüber Israel vorbildlich nicht nur für den mittleren und nahen Osten sondern auch für Europa. Sie lehnen dazu jeglichen Kampf gegen Zivilisten ab. Diese Einheiten weiterhin auf einer Terrorliste zu führen, widerspricht allen aktuellen Entwicklungen.  Abgesehen davon sind die YPG und die YPJ kampferprobte Einheiten. Es sind die einzigen, die dem Islamischen Staat bisher effektiv bekämpften und ihm ohne jede Unterstützung die Stirn boten.

Es waren die KämpferInnen der PKK die den Genozid an den Yeziden verhinderten und tausenden Yeziden die Flucht ermöglichten. Die Einheiten der Peshmerga waren zuvor geflohen und hatten die Yeziden ihrem Schicksal überlassen, als sie vom IS vor die Wahl gestellt wurden sofort abzuziehen oder zu sterben. Nicht einmal die aus Deutschland gelieferten Waffen hatten sie den Bewohnern zu ihrer Verteidigung zurück gelassen. Das Ergebnis war das geschichtlich gesehen 74. Massaker an den Yeziden. Eine Zahl, die sich tief in die Köpfe eingebrannt hat und die das blutgetränkte, zerstörte Shingal als Heimat verloren scheinen lässt. Der islamische Staat könnte schon längst Geschichte sein. Doch es wurden nicht einmal die geeigneten Mittel ergriffen, um seine weitere Ausdehnung zu unterbinden. Dieses Kalifat des Schreckens hätte ohne seine Nachschubwege über die Türkei womöglich weder im Irak noch in Syrien die Macht, die Menschen zu unterdrücken und auf grausame Art abzuschlachten, noch könnte es weitere Terroranschläge in Europa ausführen. Die Toten von Paris könnten heute noch leben.

Müsste nicht alles Notwendige dafür getan werden, den Konflikt zu beenden, bevor man deutsche Truppen schickt? Darf man das Leben eigener Soldaten gefährden, wenn einer der NATO-Verbündeten den Feind sogar noch unterstützt? Müsste man nicht zuerst die Türkei zur sofortigen Austrocknung der Nachschubwege zwingen? Und warum stärken wir nicht die bereits erfolgreich kämpfenden Verbände vor Ort? Zehntausende kampferprobte Frauen und Männer, bereit, gegen den islamischen Staat zu kämpfen – eine schlagkräftige Armee – nur aufgehalten durch hoffnungslos veraltete Waffen und wenig Munition. Und dennoch willensstark, wie die Befreiung Kobanis zeigt.

Was denken die Kurden?

In einem kurdischen Forum lese ich einen Eintrag: „Assad hat so viele Kurden ermordet. Wir werden ihn immer hassen. Aber wenn er nun begreift, dass es nur mit uns Frieden geben wird und er uns einen Teil des Landes zum Leben lässt, dann sind wir zum Frieden bereit.“ Die kurdische Haltung hat mich immer wieder fasziniert. Sie ist so anders, als man es für gewöhnlich von Kriegsparteien kennt. In der Türkei, in Syrien, im Irak. Sie haben gelernt, bis zum Ende zu kämpfen – aber doch strecken sie immer wieder die Hand zum Frieden aus. Die PKK verfolgt keine Imperialistischen Ziele. Nicht einmal nationalistische. Ihre Forderung besteht aus Frieden, Sicherheit und Selbstverwaltung. Welche Ziele dagegen die Bundesregierung und die NATO in diesem Konflikt verfolgen, vermag ich nicht mehr zu sagen. Sie könnten das Feuer schnell eindämmen. Doch statt ehrlich den IS zu bekämpfen, wird der nun geplante Einsatz deutscher Truppen zu einem echten Rekrutierungsturbo für den IS werden. Der Krieg wird verlängert. Gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr und gegen das PKK-Verbot müssen wir gemeinsam mit unseren kurdischen MitbürgerInnen auf die Straße gehen!

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4 Antworten

  1. Manchmal kann man seinen eigenen Augen und Ohren nicht mehr trauen. Das bringt irgendwann die Erfahrung so mit sich. Besonders wenn es um Propaganda geht – und um die geht es in einem Krieg wohl. Die Wahrheit gibt es nicht.

    Einiges spricht dafür, dass es in Paris Terrorübungen schon am Morgen vor den eigentlichen Anschlägen gegeben hat. Wie bei 9/11, 7/7, beim Breivik-Massaker zum Beispiel (http://www.free21.org/fuenf-anti-terror-uebungen-die-wahr-wurden/).

    Es gibt in der Vergangenheit genug Beweise für Terror von Regierungen bzw. Machteliten gegen die Bevölkerung im eigenen Land. Da muss man nicht bis Nero zurückblättern, der Rom in Brand setzen ließ. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Es soll sogar sogenannte Verschwörungstheoretiker bzw. Antisemiten geben, die an Operation Northwoods glauben, und an Gladio. Sachen gibts, die gibts gar nicht.

  2. Wenn die NATO seelenruhig zuschaut, wie ein Bündnispartner den Terror unterstützt, dann kann doch nur die logische Schlussfolgerung sein, dass die Türkei genau das tut, was man von ihr erwartet. Seit 1947 unterstützen die USA die Saudis mit Waffen und bilden die so genannten Gottes Krieger mit aus. Noch Fragen? Oder was glauben sie, warum das Öl grade so billig ist…?

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