Sexarbeit in Deutschland und unter dem „Nordischen Modell“

Ich schlüpfe in die Rolle der Vanessa, habe einen Freund, ein kleines Kind und möchte mit der Prostitution beginnen. Damit alles sauber läuft, besorge ich mir zunächst einen Termin auf dem Amt. Dort gibt es zwei Gespräche, zu denen ich alleine erscheinen muss, mein Freund darf nicht mit.

Das erste dreht sich darum, ob ich freiwillig arbeiten möchte, was mich so erwartet und welche Rechte und Pflichten bestehen. Wenn ich Glück habe, ist der Mitarbeiter kompetent, mit Pech wurde er vom Chef dazu verdonnert und hat wenig Bock darauf.

Im zweiten Gespräch geht es um gesundheitliche Belange und wenn das auch absolviert ist, werde ich registriert und erhalte meine Anmeldebescheinigung, den sogenannten „Hurenpass“. Mit Klarnamen und wenn ich will auch noch eine Ausführung mit Alias, damit ich ihn auch den Kunden zeigen kann.

Das Finanzamt bekommt automatisch eine Information, deshalb sollte man da nicht tricksen. Ob ich angemeldet bin oder nicht ist dem Finanzamt dabei völlig egal, Hauptsache die Einkünfte werden angegeben.

Nun kann es losgehen. Ich könnte in einem Bordell arbeiten, was einen gewissen Schutz bedeutet, denn dort gibt es Security, Notrufknöpfe und auch vorgeschriebene hygienische Dinge. Kostet aber auch Miete und die ist gar nicht niedrig. Also besser eine Agentur im Escortbereich? Hat ebenfalls ihre Vorteile, kostet aber natürlich auch was. Laufhaus? Wieder das Thema Miete und außerdem hat man da eher kurze Besuche, keine mehrstündigen Buchungen. Vielleicht mit einer Kollegin zusammentun in einer Wohnung? Das bringt weniger Sicherheit als im Bordell aber mehr als alleine und die Miete ist auch überschaubarer. Ja, wäre vielleicht was. Aber erstmal herantasten und eines der einschlägigen Portale im Internet nutzen. Profil mit nettem Text und guten Fotos erstellen und dann mal warten was kommt.

Sicherheitsvorkehrungen

Hurra, der erste Termin! Der Freund passt aufs Kind auf und mit Herzklopfen steige ich ins Taxi. Wenn ich im Hotel beim Kunden bin, sage ich meinem Freund kurz Bescheid und falls er nicht nach der vereinbarten Zeit wieder was hört, dann wird er aktiv.

Erreicht er mich, ist alles gut, ansonsten ruft er die Polizei. Doch alles ist okay, auch wenn ich sehr aufgeregt bin und der Kunde das natürlich mitbekommt. Er ist nett und hinterher verabschieden wir uns und hatten einen schönen Abend.

Einige Tage später wieder ein Besuch, doch diesmal hält sich der Kunde nicht an die Regeln. Er wird übergriffig und zwingt mich zu Dingen, die nicht vereinbart sind. Zuhause erzähle ich es meinem Freund und gemeinsam erstatten wir noch am gleichen Abend Anzeige.

Nach dieser Erfahrung entschließe ich mich, doch lieber gemeinsam mit einer Kollegin in einer Wohnung zu arbeiten. Das ist kein Problem, solange man nicht das Pech hat, zum Beispiel in einer mittelgroßen süddeutschen Stadt zu arbeiten.

Denn viele sind komplett Sperrgebiet und das bedeutet, man kann Sexarbeit eigentlich nirgends legal ausüben. Bordelle sind ebenso verboten wie Besuche in Wohnungen und Hotels oder das Arbeiten zuhause.

Aber zum Glück ist es in meiner Stadt erlaubt und ich bin angekommen in dem Beruf. Um die Steuern kümmert sich der Steuerberater und einmal jährlich muss ich aufs Amt, um wieder ein Gespräch zu führen.

Mein Freund ist glücklicherweise eifersuchtsfrei und unterstützt mich.

Auswirkungen des nordischen Modells

Würde ich unter gleichen Voraussetzungen in einem Land wie Schweden oder Frankreich, wo das Sexkaufverbot nach „Nordischen Modell“ gilt, arbeiten wollen, könnte das so ablaufen:

Erstmal ist es einfacher als in Deutschland, denn anmelden muss ich mich nicht. Sex verkaufen darf ich, blöd ist nur, dass es für den Kunden strafbar ist, das Angebot anzunehmen. Aber das ist ja sein Problem, denke ich mir und Nachfrage gibt es immer. Also, wo und wie starten?

Ein Bordell? Nein, das gibt es nicht legal, das fällt ja unter das Verbot. Eine Agentur? Die sind auch verboten. Laufhaus? Verboten. Bleibt eben noch die Möglichkeit, mich mit einer Kollegin in einer Wohnung zusammenzutun. Oh, nein, geht auch nicht – verboten. Also bleibt ein Onlineportal. Auf das Internet ist Verlass, da findet sich immer ein Weg. Ob es jetzt unbedingt ein guter ist, weiß man oft erst hinterher. Egal, Profil anlegen und warten.

Hurra, der erste Termin! Der Freund passt aufs Kind auf und mit Herzklopfen steige ich ins Taxi. Beim Kunden sage ich meinem Freund wieder kurz Bescheid und sollte er später nichts von mir hören, wird er aktiv.

Natürlich nicht, indem er die Polizei informiert. Aber alles ist okay, obwohl ich aufgeregt bin. Netter Kunde und wir hatten einen schönen Abend. Also, bis zu dem Moment, an dem dann doch die Polizei anrückte, denn das Portal und ich wurden überwacht.

Ärgerlich, aber mir passiert ja nichts. Dafür aber dem Kunden, den jetzt eine Geld- oder Haftstrafe erwartet, was bis zum kompletten finanziellen und gesellschaftlichen Ruin führen kann. Und dem Hotelbesitzer, der uns das Zimmer vermietet hat.

Und dem Taxifahrer, der mich zur Arbeit fuhr. Und meinem Freund, der von dem verdienten Geld theoretisch mit profitiert und außerdem Security-Dienste durchführt. Hellhörig wird nun auch das Jugendamt und mein Kind kommt erstmal ins Heim.

Die Leute reden und mein Vermieter bekommt das auch mit. Aus Selbstschutz kündigt er mir umgehend den Mietvertrag, denn sonst könnte er ebenfalls wegen Förderung der Prostitution dran sein.

Zu meinem Schutz wurde also mein komplettes Umfeld kriminalisiert und ich stehe vor den Trümmern meiner Existenz. Das schränkt die Optionen deutlich ein und zwangsläufig arbeite ich weiter, nun noch verborgener.

Und es läuft nicht gut. Klar, ich lasse mir mehr gefallen von den Kunden und die Preise könnten besser sein, aber Augen zu und durch. Eines Tages jedoch gerate ich an einen besonders fiesen Typen und entschließe mich trotz allem, ihn nicht davonkommen zu lassen.

Auf zur Polizei. Das Gute ist ja, ich gehe kein Risiko ein, denn meine Handlungen waren nicht strafbar. Theoretisch. Praktisch höre ich diesen Satz: „Sie sind eine Prostituierte und Prostituierte können nicht vergewaltigt werden, denn sie lassen sich schließlich für sowas bezahlen.“

Also doch keine Anzeige, stattdessen endgültig angekommen im Beruf mit all seinen Stigmata und Risiken. Mein Freund hat sich zu seiner Sicherheit von mir getrennt und das Kind wird bei ihm aufwachsen. Klingt überzogen? Jedes der Beispiele kam bereits vor.

Ein Artikel von Jasmin, die auf Twitter viel zu ihrer Arbeit als Sexworkerin berichtet.

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2 Antworten

  1. Prostitution findet immer statt. Sie verbieten zu wollen, führt unweigerlich dazu, dass sie in ihrer hässlichsten Form auftritt. Daher wäre es klug, Sexarbeit als Arbeit wie jede andere anzuerkennen.

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