Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo am 20. November 2011. By Lilian Wagdy,Wikimedia Commons, licensed under CC BY 2.0.

Pulverfass Ägypten – 6 ½ Jahre nach dem Arabischen Frühling

Wenn man sich durch die Nachrichten im westlichen Raum wühlt – ob es nun große deutsche Tageszeitungen oder auch internationale britische oder amerikanische sind, wie die New York Times, der Guardian oder die tägliche Tagesschau – erfährt man ziemlich wenig über die Situation in den Ländern, in denen im Jahre 2011 Millionen von Menschen für eine bessere Welt aufgestanden sind. Monatelang waren die Ereignisse dort in eben diesen Medien dominierend. Als dann in Tunesien und Ägypten die Langzeitherrscher abgesetzt waren und irgendwann der Krieg in Syrien begann, war das Blickfeld wieder ganz woanders. In Tunesien konnte sich eine Art Demokratie durchsetzen, während man von Ägypten weiß, dass sich dort nach einigen Jahren der politischen Umbrüche wieder einmal eine Militärregierung etabliert hat.

Aber wie ist die Situation in den Ländern, deren Revolutionen vor einiger Zeit noch die Herzen vieler progressiv denkender Menschen höher schlagen ließ, wirklich? Ist es gelungen, Verbesserungen umzusetzen, oder haben die ganzen Aufstände letzten Endes wenig gebracht?

Auf all dies hatte ich keine Antwort. Ich wollte mehr erfahren, und so saß ich eines Nachmittags mit einem ägyptischen Journalisten zusammen in einem Restaurant in Kairo und sprach mit ihm über die Revolution und das, was danach kam. Er wirkte sehr gelassen und erzählte mir, im ruhigen Ton, wie er die Lage nun einschätzte.

Anfangs ließ er noch einmal den Blick zurück auf die Revolutionsjahre schweifen: mehr als 2 ½ Jahre hatten sie angedauert. Ihr Slogan und ihre Prinzipien waren soziale Gerechtigkeit, Brot und Menschenwürde. Die Revolution hatte den Langzeitdiktator Husni Mubarak abgesetzt und den daraufhin kurzzeitig regierenden Militärrat ebenso. Nach demokratischen Wahlen, aus denen der Muslimbruder Mohamed Mursi als Präsident hervorging, waren es ebenfalls wieder die Revolutionär*innen von 2011, die den Druck auf den korrupten und autokratisch regierenden neuen Präsidenten, der das Land zunehmend islamisierte, so erhöhten, dass dieser schon nach einem Jahr, am 30. Juni 2013, gehen musste. Das Militär hatte geputscht.

Das Militär unter General Abdel Fattah Al Sisi putschte den ersten demokratische gewählten Präsidenten in der Geschichte Ägyptens weg, Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern. Trump bezeichnete den ägyptischen Diktator Al Sisi als „fantastic guy“. By The White House, Wikimedia Commons, published under public domain.

Kaum war die Militärregierung an die Macht gelangt und der neue Präsident Abdel Fattah al Sisi vereidigt, begann der Staat, die jungen Aktivist*innen in den Gefängnissen zum Schweigen zu bringen und manchmal sogar zu foltern. Viele, mit denen ich sprach, nicht nur der Journalist, betonten, dass es die jungen Leute waren, die maßgeblich für die Revolution verantwortlich waren und diese umgesetzt hatten. Ältere hätten zwar partizipiert, seien aber nur eine Randerscheinung geblieben.

Aber nicht nur die Gefängnisse sind mittlerweile voll, auch Demonstrationen jeglicher Art wurden illegalisiert. „Wenn jetzt jemand demonstrieren würde, man würde ihn sofort erschießen“. Außerdem gibt es keine Pressefreiheit, und manche Oppositionelle wurden sogar festgenommen, weil sie einen kritischen Beitrag auf Facebook teilten. Mein Gesprächspartner fuhr fort und erklärte mir, dass bei jeder Revolution eine Konterrevolution ausgelöst wird, und je mehr sich die herrschende Klasse in Gefahr sähe, desto abscheulicher und brutaler würde die Konterrevolution, mit welcher man es anschließend zu tun habe. Und diese habe in Ägypten triumphieren können, auch weil sich viele Menschen nach Jahren der Unruhen endlich wieder Stabilität gewünscht hatten und nach der erfolgreichen Absetzung Mursis im Militär fälschlicherweise den Heilsbringer sahen.

Aber wie konnte es soweit kommen?

Der Journalist hatte darauf eine Antwort: Es waren zwar Massen auf den Straßen und einiges wurde erreicht, aber das, was die Niederlage gebracht hätte, wäre gewesen, dass es keine wirklich organisierte Kraft gab, welche den Leuten eine Alternative aufgezeigt hätte. Es habe keine finale Vision von einem Ägypten nach Mubarak gegeben und auch keine Strategie, welche in der Lage gewesen wäre, wirkliche Veränderungen durchzusetzen. Das führe dazu, dass man zwar die ganze Zeit kämpfe, aber auch die ganze Zeit verlöre. Und letzten Endes habe das dazu geführt, dass die Revolutionär*innen, die jungen Leute, „die unter Feuer standen und auf die geschossen wurde“, und die trotzdem immer weiter gemacht hatten, mutlos und müde wurden und jetzt keinen Ausweg aus der Situation wissen. Er habe schon viel erlebt, „aber die Situation, wie wir sie heute haben, das ist die schlimmste; wir haben unter einigen Diktaturen gelebt, Nasser, Sadat, Mubarak, aber so wie jetzt, so schlimm war es noch nie.“

Denn nicht nur die staatliche Repression ist stärker denn je, auch der Gesellschaft insgesamt geht es immer schlechter. Ägyptens Ökonomie liegt am Boden und der IWF will Reformen sehen, um Kredite zu vergeben, die die Wirtschaft dringend braucht, um zu überleben. Folge davon sind die Streichung von diversen Subventionen auf Lebensmittel und Gas etwa, die diese für die ärmere Bevölkerung noch irgendwie erschwinglich machten. Die Mittelklasse, die hauptsächlich der Konsumfaktor Nummer 1 war und so Gelder in die Kassen spülte, schrumpft immer schneller und macht mit einem Anteil von circa 5 Prozent schon jetzt eine krasse Minderheit aus. Auf der anderen Seite werden die Superreichen immer reicher, und ranghohe Militärs werden mit Staatsgeldern versorgt. Ein Ausweg aus der Krise sehe der Journalist nicht und den kannten auch alle anderen nicht, mit denen ich die Gelegenheit hatte zu sprechen. Einiges, was sie mir sagten, ist auch Grundlage dieses Textes.

Einige, so wie er, würden schreiben. Er betreibt ein linkes Onlinemagazin, das er als Plattform zum gegenseitigen Austausch und als Medium zum Lernen – beim Kampf für eine bessere Welt und gegen Kapitalismus – ansieht. Dies wird ebenfalls mehrheitlich von jungen Leuten gelesen. Trotz bereits stattgefundener staatlicher Blockierung und der Gefahr, verhaftet zu werden, machen er und seine Gruppe weiter. Aber es gäbe auch noch vieles andere, das man tun könne. Nur würden das Wenige auf sich nehmen, da sie frustriert und – wie schon erwähnt – mutlos seien nach der Niederlage. Die Revolution könne halt nicht immer weitergehen – das passiere überall.

All diese Umstände, so eine andere Aktivistin, „haben eine ganze Generation wütend gemacht“. Aber mit Waffen alleine kann man auf die Dauer keinen unterdrückten Menschen stillhalten. Viele sind depressiv und eher pessimistisch, was die Zukunft anbelangt. Auch der Journalist meint, dass das seiner Einschätzung nach noch einige Zeit so bleiben würde. Aber die Kampferfahrung, die hunderttausende von Menschen politisiert habe, die könne ihnen keiner nehmen. Von anderen hörte ich, dass der Präsident unbeliebt wie nie zuvor sei und: „irgendwann werden wir siegen“.


Gastbeitrag von Said Kushari*.

Die Freiheitsliebe bedankt sich recht herzlich bei Said* für diesen vor Ort Bericht und sein Engagement.

*Name aus Sicherheitsgründen geändert.

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Eine Antwort

  1. Insgesamt ein schöner Beitrag jedoch würde ich Mursi nicht als korrupt bezeichnen, niemand hat ihm dessen beschuldigt. Auch autokratisch ist ein wenig von den Haaren herbeigezogen wenn man seine Art zu regieren mit all seinen Vorgängern und besonders mit seinem Nachfolger vergleicht. Ich würde andere bewiesene Anschuldigungen benutzen um meine Glaubwürdigkeit nicht zu verletzen.

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