Hat die Linke eine Zukunft?

Die Partei Die Linke erleidet eine Wahlniederlage nach der anderen. Zuerst die Bundestagswahl 2021, wo sie nur dank dreier Direktmandate in den Bundestag als Fraktion einzog. Dann die Europawahl, wo sie mit 2,7 Prozent ihre Stimmenzahl halbierte. Und schließlich die niederschmetternden Resultate in den drei ostdeutschen Bundesländern, wo sie ihre einstige Stärke einbüßte und in Brandenburg gar aus dem Landtag flog.

Dagegen triumphierte das erst seit Anfang des Jahres als Partei gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sowohl bei den Europawahlen als auch bei den ostdeutschen Landtagswahlen und dort mit zweistelligen Ergebnissen. Ein nicht geringer Teil der Partei und insbesondere der Parteiführung sah in der Abspaltung der Gruppe um Sahra Wagenknecht einen Befreiungsschlag, der endlich die parteiinternen Querelen beenden und einen Wiederaufschwung der Partei ermöglichen sollte. Sie sahen sich durch die in der Tat beeindruckenden vielen Neueintritte bestärkt. Auch wurde angenommen, dass sich das Wählerpotenzial von Linken und BSW nur wenig überschneidet. Was für ein Irrtum! Das BSW erhielt in allen Wahlen einen Zustrom von ehemals linken Wählern. Und von einem Aufschwung der Partei ist wenig zu sehen.

Haltung ersetzt keine Politik

Dies sollte Anlass für eine gründliche Analyse der bisher verfolgten Politik sein. Nicht dass es derartige Versuche nicht gäbe, aber sie finden bislang zu wenig Berücksichtigung. So wird zu wenig Kenntnis davon genommen, dass die Linke, wie die Studien von Carsten Braband zeigen, bereits seit Jahren zunehmend bei den Produktions- und Dienstleistungsarbeitenden und eben auch bei den Gewerkschaftsmitgliedern an Zustimmung verliert und ihr nur wenig Kompetenz zugeschrieben wird. Am ehesten geschieht dies noch bei der sozialen Frage, aber eben auch hier mit abnehmender Tendenz.

Es steht außer Frage, dass das BSW der Linken erheblichen Schaden zugefügt hat, doch wäre es falsch, ihm allein die Schuld für den Niedergang der Partei bei den Wahlen zu geben. Die Gründe liegen sehr viel tiefer. Die Linke hat kein überzeugendes und glaubhaftes Profil. Sie hat eine Vielzahl richtiger Forderungen in den Bereichen sozialer Sicherung, der Daseinsfürsorge, beim Wohnen, der Infrastruktur, in der Bekämpfung der Klimakreise und für eine humane Migrationspolitik. Doch in zentralen Politikfeldern ist sie unklar.

Dies gilt insbesondere für die Friedensfrage. Hier eiert sie herum. In der Frage der Waffenlieferung in die Ukraine ist sie uneins. Zwar gibt es einen Parteibeschluss gegen die Waffenlieferungen, doch eine Minderheit spricht sich dafür aus. So auch jüngst Carola Rackete, die als Spitzenkandidatin aufgestellte und neu gewählte Europaabgeordnete. Auch im Krieg in Nahost tut sich die Parteiführung mit Äußerungen schwer. Und da man uneins ist, wird die Friedensfrage in den Hintergrund gestellt. Ein schwerwiegender politischer Fehler.

Auch im notwendigen Kampf gegen rechts und in der Migrationsfrage gibt es Defizite. Es ist richtig, das Recht auf Asyl zu verteidigen und für eine humane Migrationspolitik einzutreten, doch werden die mit der Migration verbundenen Probleme unterschätzt und man argumentiert wesentlich moralisch. Dies gilt auch für den Kampf gegen rechts. Haltung ersetzt allerdings keine Politik. Letztlich helfen hier keine Brandmauern, sondern nur eine andere Politik, die an den Ursachen für den Rechtsruck ansetzt. Doch anstatt eine strategische Diskussion zu führen, um zu gemeinsamen politischen Eckpunkten und damit zu einer überzeugenden Alternative zu kommen, zaudert man, sucht den kleinsten gemeinsamen Nenner und verliert sich in einer Vielzahl von Forderungen. Um eine solche strategische Diskussion bemüht sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die allerdings nicht Ersatz für die fehlende strategische Diskussion in der Partei selbst sein kann, sondern ein Angebot darstellt.

Die Linke muss eine Zukunft haben

Das Bild, das Die Linke abgibt, ist düster. Es stellt sich die Frage, ob die Partei überhaupt noch eine Zukunft hat. Die Antwortet lautet: Sie muss eine Zukunft haben. Denn eine starke linke Kraft ist angesichts der tiefgreifenden Krise der gesellschaftlichen Entwicklung notwendig. Egal ob man mit Klaus Dörre von einer ökonomisch-ökologischen Zangenkrise oder mit Adam Tooze von einer Polykrise spricht, die ökonomischen, sozialen und politischen Verwerfungen sind tiefgreifend. Wir stehen vor weitreichenden Transformationsprozessen sowohl im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung, verursacht vor allem durch die ökologischen Zwänge, als auch in geopolitischer Hinsicht mit den sich ausbreitenden militärischen Konflikten und der drohenden Blockkonfrontation zwischen den USA und China.

Dies verschärft die ohnehin bestehenden sozialen Probleme. Die herrschende Politik hat darauf keine zureichende Antwort. Die Kritik und Unzufriedenheit mit der Regierung, aber auch mit der Politik generell nimm zu. Angesichts der Schwäche der Linken geht diese Unzufriedenheit nach rechts und zwar nach extrem rechts, was zunehmend zu einer Gefahr für die demokratische Entwicklung wird.

Von dieser Entwicklung profitiert auch das BSW, die ihre starken Punkte in der sozialen Frage und vor allem im Frieden hat. Allerdings ist die soziale Frage für das BSW eher eine Projektion, nicht aber ein überzeugendes Programm. Das Bündnis ist keine wirklich linke Partei – nicht nur wegen der restriktiven und nicht akzeptablen Migrationspolitik, sondern auch in wirtschaftspolitischer Hinsicht mit einer ordoliberal geprägten und auf den Mittelstand orientierten Konzeption. Aussagen zum sozial-ökologische Transformationsprozess gibt es wenig. Seitens der Linken bedarf es daher einer seriösen Auseinandersetzung mit dem BSW. Polemiken, oder es gar in die rechte Ecke zu stellen, sind unangemessen und falsch.

Für einen Neuanfang

Auf ihrem Parteitag im Oktober wird es eine personelle Neubesetzung in der Führung der Linken geben. Das allein reicht jedoch nicht. Vielmehr muss es auch zu einer überzeugenden strategischen Orientierung kommen. Die Linke muss sich als eine gesellschaftliche Oppositionskraft profilieren. Dazu gehört, dass sie sich auf Eckpunkte in den Feldern Friedenspolitik, der sozial-ökologische Transformation und in der Sozialpolitik verständigt. Friedens-, soziale Frage und Klimafrage hängen eng zusammen. Ausgehend von den konkreten, die Menschen bewegenden Problemen und mit zentralem Bezug zur Welt der Arbeit muss die Linke Perspektiven aufzeigen, die nicht nur darauf gerichtet sind, diese Probleme zu lösen, sondern auch gesellschaftliche Alternativen entwickeln, die über den Kapitalismus hinausgehen und eine sozialistische Perspektive aufweisen. Dann hat sie auch eine Zukunft.

Ein Beitrag von Heinz Bierbaum

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