Bruno Kern: Das Märchen vom Wachstum

Das neue Buch von Bruno Kern „Das Märchen vom Grünen Wachstum“ erweist sich als gut recherchiert und voll von einem breit gefüllten Fachwissen. Formen eines grünen Kapitalismus lehnt er mit guten sowie anschaulichen Argumenten ab und plädiert stattdessen für eine ökosozialistische Gesellschaft. Jedoch finden sich auch ein paar problematische Schlussfolgerungen, die sich vor allem am Ende des Werkes wiederfinden.

Zu Beginn muss gesagt werden, dass der Wissenschaftler durch viel Fachwissen, gute Erklärungen und interessante Vorschläge zur Klimakrise auffällt. Bewusst möchte der Autor sich einerseits vom grün-liberalen Ansatz eines technisch-modernisierten ökologischen Kapitalismus, andererseits von einem orthodoxen Marxismus abgrenzen. In seinem Buch wird schnell klar, dass er die kapitalistische Produktionsweise und die Konsumweise des globalen Nordens als die zentralen Problematiken des Klimawandels feststellt. Damit reiht Bruno Kern sich in die inhaltliche Tradition des im letzten Jahr erschienen Buches der ,,Imperialen Lebensweise“ von Ulrich Brand und Markus Wissen ein, auf die er in seinem Werk auch häufig verweist. Allerdings unterscheidet er sich zu den beiden genannten Autoren, indem er klarer den globalen Kapitalismus für die Klimazerstörung verantwortlich macht, sowie eine konkretere Alternative zum heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem formuliert: Den Ökosozialismus. Zentral sticht in seinem Buch seine These heraus, dass der Energie- und Ressourcenverbrauch auf der Welt (vor allem in den Industrienationen) deutlich zu hoch ist und keine Entkoppelung von Wachstum und Verbrauch möglich sei. Dadurch schließt er reformorientierte Ansätze eines Kapitalismus aus, da sie diesen hauptsächlichen Widerspruch nicht lösen können und viele Ideen von grünliberalen Parteien und Denkern nur eine Rekonstruktion dieses Wirtschaftswachstums anstreben würden.

Sehr stark an seinem Buch sind seine greifbaren Transformationsüberlegungen, die er in seinem Kapitel „Auf dem Wege zu einer ökosozialistischen Gesellschaft“ darstellt, da er viele anschauliche Beispiele kapitalistischer Verschwendungs- und Ausbeutungslogik an der Natur anführt, die in einer nicht auf Profit basierenden Gesellschaft (dem Ökosozialismus) irrelevant wären. Auch unterstreicht er, dass eine ökologische Transformation der Welt nicht auf dem Rücken der armen Schichten ausgetragen werden darf. Es sei sowohl ungerecht als auch nicht umsetzbar. Eine Umverteilung des Reichtums setze eine ökologische Veränderung voraus.

Foto: TIm Dreyer

Leider nimmt das Buch eine leichte Wendung in den letzten beiden Kapiteln ein, in dem er ungenau wird und die Macht der Konsumenten überschätzt, was letztendlich in einem schwachen Fazit endet. Provokant betitelt er das vorletzte Kapitel mit „Warum wir keine Marxisten sind“, obwohl er sich für eine ökosozialistische Welt einsetzt. In diesem Abschnitt verallgemeinert er die gesamte marxistische Linke als orthodox, fortschrittsbegeistert und standortbezogen, ignoriert somit die vielen Debatten und Erneuerungen in den marxistischen Organisationen und ihrem unterstützenden Aufbau der neuen Klimabewegung. Zunächst nimmt er allerdings Bezug auf die Marxschen Schriften, die er – der damaligen Zeit geschuldet – als zu fortschrittsoptimistisch kritisiert. Nicht zu Unrecht kritisiert er die Theorie der Notwendigkeit der hinreichenden Entwicklung der Produktionskräfte für die Entstehung eines neuen Gesellschaftssystem als veraltet und fatal, da er zu Recht einwendet, dass der Kapitalismus den Ressourcenverbrauch auf ein so hohes Niveau hochgetrieben hat, auf dem wir daran arbeiten müssen, diesen runterzufahren, statt ihn für eine nächste Gesellschaftsstufe weiter anzuheizen. Aber gerade Marx war doch derjenige, der in seinen Texten den expansiven Wachstumsdrang des Kapitalismus erstmals deutlich erkannte und auf seine Zerstörungskraft hingewiesen hat.

Allerdings erkennt Bruno Kern nicht, dass heutige Marxistinnen und Marxisten die Werke durchaus kritisch und zeitgemäß lesen, wodurch diese Kritik ungerechtfertigt ist. Es existiert eine Reihe von Marxistinnen und Marxisten, die zahlreiche Analysen zur Verbindung von Marxismus und Natur verfasst haben, wie zum Beispiel Daniel Tanuro, John Bellamy Foster oder Elmar Altvater.[1] Wo allerdings die marxistische Linke deutliche Schwierigkeiten hat und was Bruno Kern richtig sagt, ist die Einordnung der Industriearbeiterschaft in der ökosozialen Transformation: Sie hängen jedoch keinem Fetisch an, sondern sehen die Rolle der Industriearbeiterklasse als wichtig in der Abschaffung des Kapitalismus, da diese am Stärksten ökonomischen Schaden am System anrichten kann und somit eine größere Macht entwickeln kann als beispielsweise Schul- und Universitätsstreiks. Als Idealzustand markieren sie die Verbindung und den gemeinsamen Kampf zwischen verschiedenen Teilen der Lohnabhängigen und der Industriearbeiterklasse. Trotz teilweiser berechtigter Kritik an der marxistischen Praxis in der Klimabewegung, leidet dieses Kapitel an Verallgemeinerung und Ungenauigkeit.

Widersprüchlich ist das Fazit des Buches, indem es unglücklicherweise mit einem Appell zur Konsumkritik endet. Zwar ruft er nicht in einer individualisierten und liberalen Weise zum Verzicht auf, sondern ordnet sie in einen kollektiven Prozess ein. Trotzdem sind die Schlussfolgerungen im Fazit von Bruno Kern problematisch und nicht zielführend und das aus gleich mehreren Gründen:

Erstens überschätzt der Autor die Macht der Konsumenten. Bevor etwas konsumiert werden kann, muss es produziert werden. Die Konzerne überlegen sich genau, bevor sie etwas auf den Markt bringen, wie sie maximal viel Geld mit ihren Produkten verdienen können. Als Konsumentinnen und Konsumenten können wir zwar entscheiden, wofür wir unser Geld ausgeben möchten, jedoch hängt dies auch mit dem Einkommen zusammen. Nicht jeder kann sich teure, ökologische Lebensmittel oder Produkte kaufen. Außerdem sind selbst diese höchst fraglich, denn beispielsweise stammt der allergrößte Teil der Biotomaten aus Südspanien, in der weder ökologisch nachhaltig noch sozial gewirtschaftet wird. Auch ,,ökologisch“ wirtschaftende Unternehmen können nicht ihre sozialen und nachhaltigen Ansprüche erfüllen, da sie aus ökonomischen Zwängen der Konkurrenz auf dem Markt ihre Ideale opfern müssen.

Zweitens scheint Bruno Kern im Fazit selbst die Klassenfrage zu vergessen, die er in seinem Werk an manchen Stellen ansprach. Nicht alle Menschen, auch nicht diejenigen im Globalen Norden, sind gleich stark an der Klimazerstörung beteiligt: Einer Studie von Oxfam aus dem Jahr 2015 zu Folge schadet jemand aus dem Reichsten Prozent 175-mal mehr als eine Person aus den ärmsten 10%. Außerdem verantwortet das reichste globale 10 Prozent 50% der CO2 Emissionen. Nur 100 Konzerne sind seit 1988 für unglaubliche 71% der Emissionen verantwortlich – allen voran aus der fossilen Energieindustrie. Wir können also die Klimakrise nicht von der Klassenfrage trennen. Einfach gesagt: Je mehr Einkommen, desto mehr ökologischer Schaden. Dass global gesehen natürlich ein nicht unbedeutender Teil der Mittelschicht Deutschlands zur reicheren Fraktion auf der Welt gehört, ist unumstritten. Alle Lohnabhängigen jedoch für ihre Konsumweise kollektiv zu bestrafen ist falsch. Wenn die Zugpreise zum Teil drei mal so hoch sind wie Kurzflügen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Menschen eher fliegen statt auf den Schienenverkehr zu setzen. Wenn auf dem ländlichen Raum der ÖPNV mangelhaft ausgebaut ist, sollen wir nicht erwarten, dass Menschen keine Autos benutzen, um beispielsweise – in ihrer sowieso begrenzten Zeit – auf die Arbeit zu gelangen. Diese gesellschaftlichen strukturellen Unterschiede müssen wir betonen: Die Bahn in wirkliche öffentliche Kontrolle, massiver Personalaufbau, mehr Bahnen, mehr Schienen vor allem im ländlichen Raum und vor allem günstigere Preise. Dann können wir gerne über ein Verbot von Kurzflügen oder Autos in den Innenstädten sprechen. Plakativ ausgedrückt können die Menschen auch nichts dafür, in den vorgegebenen strukturellen Umständen geboren und aufgewachsen zu sein. Sie können sich jedoch dafür einsetzen, diese zu verändern!

Drittens plädiert Bruno Kern nicht einmal in seinem Fazit dafür, dass die Menschen sich organisieren sollen und für ihre Ziele kämpfen sollen. Dass so viele heute über die Klimakrise reden, ist ein Produkt von der riesigen Organisierung von Schülerinnen und Schülern bei Fridays for Future, die durch zivilen Ungehorsam und Streiks auf sich aufmerksam machten. Außerdem wird der Kapitalismus nicht durch Konsumveränderung oder Verzicht abgeschafft, was eine riesige Illusion ist.

Also sollen jetzt alle ganz viel Fleisch essen, fliegen und Auto fahren? Nein auf gar keinem Fall. Wir sollten dort, wo es uns ökonomisch und freizeitlich gelingt, aufs Fahrrad steigen, laufen, die Öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, weniger Fleisch essen und auf unnötigen Konsum verzichten. Kein Mensch braucht beispielsweise einen SUV. Das ist nicht nur ökologisch, sondern hält uns auch fit. Außerdem wäre es auch jetzt schon nützlich, sich auf bestimmte Alltagsänderungen in einer (hoffentlich) zukünftig ökosozialistischen Gesellschaft einzugewöhnen, in der der Fleischkonsum und die Mobilitätsfrage radikal verändert werden müssten. Jedoch sollten wir diese kleineren Änderungen nicht vor die ganz große Herausforderung stellen: Den strukturellen Zwang des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu mehr Wachstum und somit mehr Energie- und Ressourcenverbrauch. Wir sollten vor allem uns bemühen, politisch gewisse Entscheidungen zu fällen, damit eben die Verkehrswende sozial und ökologisch geschieht, die Massentierhaltung abgeschafft wird oder Plastik verboten wird. Dazu müssen wir uns organisieren und gemeinsam täglich kämpfen. Wenn wir fast 200 kapitalistische Staaten auf der Welt haben, die alles daransetzen, damit sich ihre eigenen nationalen Konzerne auf dem Weltmarkt durchsetzen, haben wir es mit viel größeren Dimensionen zu tun.

Alles in Allem kann ich das Buch von Bruno Kern in weiten Teilen empfehlen, da es klar grünkapitalistische „Alternativen“ ablehnt, konkrete Transformationsüberlegungen zu einer ökosozialistischen Gesellschaft nennt und die aktuelle ökologische Krise gut skizziert. Außerdem drückt Bruno Kern zu Recht auf die Wunden in der aktuellen sozialistischen Diskussion um die Klimakrise, in der bestimmte Wohlstandsvorstellungen umgedacht werden müssen. Allerdings schwächelt das Buch in den letzten beiden Kapiteln und es fehlt an einer sinnvollen Einordnung von Konsumkritik für die aktuelle Debatte um den Klimawandel.

Das Buch ist beim Rotpunktverlag für 13€ erhältlich.


[1] Hierzu können ein paar der großen Auswahl an Beispielswerke genannt werden:

  • Altvater, Elmar (2006): Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, 3. Aufl., Münster.
  • Foster, John Bellamy/ Magdoff, Fred (2012): Was jeder Umweltschützer über den Kapitalismus wissen muss, Hamburg.
  • Tanuro, Daniel (2015): Klimakrise und Kapitalismus, Köln.

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