40 Jahre AIDS-Pandemie: Das Recht auf Gesundheit als globale soziale Frage

Als im Juni 1981 erste Berichte über seltsame Erkrankungen junger schwuler Männer in Kalifornien veröffentlicht wurden, nahmen die meisten diese noch kaum zur Kenntnis. Die Männer litten an Pilzinfektionen, seltenen Krebserkrankungen wie dem Kaposi-Sarkom, Lungenentzündungen und anderen Infektionen und starben schnell und qualvoll. Die Krankheit nannte man „erworbenes Immun-Defizit-Syndrom“, kurz AIDS.

Und es wurden immer mehr, nicht nur homosexuelle Männer, sondern auch Frauen mit wechselnden Geschlechtspartnern sowie Personen, die intravenös Drogen konsumierten oder Bluttransfusionen erhalten hatten. Erst zwei Jahre später isolierten ein französisches und ein amerikanisches Wissenschaftsteam das HIV-Virus und entwickelten damit die ersten Bluttests. Bereits 1990 waren weltweit 3 von 1.000 Erwachsenen mit diesem Virus infiziert. Heute sind es wie im Jahr 2000 7 von 1.000, aktuell sind weltweit 38 Millionen Menschen infiziert, von denen nur 88 Prozent Zugang zu antiretroviralen Medikamenten haben. Antiretrovirale Therapie ist heute der Standard in der Bekämpfung von AIDS. Sie drückt die Viruslast im Blut unter die Nachweisgrenze, wodurch das Immunsystem gestärkt wird. Sie verlängert die Lebenserwartung HIV-Infizierter deutlich und verringert die Übertragungsgefahr, auch wenn sie keine Heilung bewirken kann.

Wohl kein Ereignis hat den Umgang mit Sexualität so beeinflusst wie die AIDS-Pandemie der 80er und 90er Jahre. Während die 68er-Bewegung, die Hippies und Kommunard:innen freien und ungehemmten Sex propagierten und praktizierten und auch Schwule in den siebziger Jahren zunehmend gegen Diskriminierung und Kriminalisierung aufbegehrten, führte die Angst vor der „Schwulenseuche“ zu neuer Stigmatisierung, irrationalen Ängsten und zu regelrechten Hasskampagnen. Aber die AIDS-Pandemie brachte auf der anderen Seite auch ein vorher nicht gekanntes Maß an Solidarität, Aktivismus und Engagement hervor.

Politiker:innen in europäischen Ländern, in Deutschland etwa CSU-Politiker Peter Gauweiler, forderten gar, geschlossene Lager für Infizierte einzurichten. Auch linke Politiker bekleckerten sich weltweit nicht unbedingt mit Ruhm. So ignorierte der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki (ANC) die Gefahr der Krankheit, die er für eine Folge von Armut und schlechter Ernährung und nicht für eine Infektionskrankheit hielt und unter anderem mit Vitaminpräparaten bekämpfen wollte. Bei seinem Amtsantritt waren etwa 20 Prozent der Bevölkerung mit HIV infiziert, man schätzt, dass mehr als 330.000 Menschen wegen der Verweigerung einer wirksamen Therapie infolge dieser Politik ihr Leben verloren. Traditionelle „Heiler“ im südlichen Afrika empfahlen auch Geschlechtsverkehr mit Jungfrauen als Heilmittel gegen die Erkrankung – mit den erwartbaren schlimmen Folgen für Mädchen und junge Frauen. Eine ganze Generation von AIDS-Waisen wuchs unter der Aufsicht ihrer Großmütter, anderer Verwandter oder älterer Geschwister auf, oft ohne Zugang zu Bildung.

Nicht nur ideologische oder religiöse Verblendung verhinderte den Zugang zu wirksamen antiretroviralen Medikamenten, sondern auch der Schutz des geistigen Eigentums. Patente auf neue Arzneimittel sichern den Pharmaunternehmen hohe Profite, vor allem bei Medikamenten gegen lebensbedrohliche Krankheiten wie AIDS. Für die Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern sind diese Preise unerschwinglich und für die einzelnen Patient:innen, wenn sie nicht reich sind, erst recht. Im Jahr 2001 verklagten 39 internationale Pharmaunternehmen die südafrikanische Regierung, weil sie versuchte, mit Generika, also Nachahmerpräparaten von patentgeschützten Arzneien, mehr Menschen eine Therapie zur Verfügung zu stellen. Erst massive Proteste im In- und Ausland brachten die Unternehmen schließlich dazu, ihre obszöne Klage zurückzuziehen. Wie die Arzneimittelpatente soziale Ungleichheit weltweit verstärken, erleben wir derzeit auch im Zusammenhang mit den Impfstoffen gegen COVID-19. Während in den Industriestaaten schon erhebliche Teile der Bevölkerung durch Impfungen, die jeweils etwa zwischen 3 und 15 Euro kosten, geschützt sind, hat die Impfquote in Afrika noch keine 3 Prozent erreicht. Die patentierten Impfstoffe sind nicht nur zu teuer, sondern der reiche Norden hat sich durch höhere Angebote für die Lieferverträge auch große Mengen davon exklusiv gesichert. Eine weitere Katastrophe deutete sich an, als sich der einzige Impfstoff, dessen Hersteller (AstraZeneca) zumindest bis Ende Juni 2021 auf Lizenzen verzichtet, sich als wenig wirksam gegen die Beta-Variante, die zuerst in Südafrika entdeckt wurde, erwies und die indische Regierung aufgrund des Massenausbruchs in der dritten Welle ein Exportverbot für den im Land produzierten Impfstoff erließ.

Was können wir aus der AIDS-Bekämpfung für COVID-19 lernen?

Erstens: Prävention ist das A und O der Pandemiebekämpfung. Und zwar eine Prävention, die nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit Charme und Humor daherkommt und die sozialen Bedürfnisse der Menschen, wie zum Beispiel Sexualität, nicht von vornherein als irrelevant einstuft. Gute, sachliche Informationen und Verfügbarkeit von Mitteln zur Vorbeugung sind ein Muss: Ob Kondome und Gleitgel in der Schwulensauna gegen HIV oder Seife und Handtuchspender auf der Behördentoilette gegen COVID-19 – es muss den Menschen so leicht wie möglich gemacht werden, sich verantwortungsbewusst zu verhalten.

Zweitens: Impfstoffe, Medikamente und Schutzmaterialien müssen in einer solchen Situation weltweit, massenhaft und preiswert verfügbar sein. Das Recht auf geistiges Eigentum darf nicht über dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stehen. Deswegen müssen die Patente in der Pandemie zumindest für die ärmeren Länder aufgehoben werden.

Drittens: Der Zugang zu Prävention, Therapie, medizinischer und pflegerischer Versorgung ist ein wesentlicher Faktor sozialer Gerechtigkeit. Innerhalb Deutschlands streiten wir intensiv über die Verteilung des knappen Impfstoffs. Kaum jemand beachtet aber, dass der schnelle Impffortschritt in den Industrieländern nicht nachhaltig ist, solange in den ärmeren Ländern die Impfkampagnen so langsam vorangehen, dass das Virus unendlich viel Gelegenheiten hat, durch Mutationen neue Varianten zu entwickeln, die den vorhandenen Impfstoffen listig entwischen könnten. Deswegen lautet auch hier die Parole: nationaler Egoismus führt in die Sackgasse.

Und last not least: Medikamente und Impfstoffe, deren Entwicklung maßgeblich aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, gehören zumindest entsprechend dieses Anteils in öffentliche Hand. Wir müssen auch über eine andere Forschungsförderung nachdenken, die nicht mehr die Kosten und Risiken der Allgemeinheit auferlegt und die Gewinne dennoch privatisiert.

Es gibt ein Menschenrecht auf Gesundheit – aber keins auf zweistellige Umsatzrenditen!

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