Auf dem Höhepunkt des Kampfes abgebrochen – und so fast nichts erreicht: Ergebnis und Auswertung des Streiks bei Post und DHL

Der diesjährige Arbeitskampf bei der Deutschen Post und DHL war eine der schärfsten Auseinandersetzungen seit Jahren. Die KollegInnen haben gut einen Monat im Streik gestanden und sahen sich einem Arbeitgeber gegenüber, der sich aller nur denkbaren Mittel der Einschüchterung und des Streikbruchs bediente.

Man setzte LeiharbeiterInnen aus Polen ein, man warb StreikbrecherInnen über die Jobcenter, rekrutierte kurzfristig Studierende und brach mal ebenso das Sonntagszustellungsverbot, wobei willige StreikbrecherInnen mal eben so 100 € bar auf die Hand bekamen. Vorgesetzte wandten sich in „persönlichen Gesprächen“ an KollegInnen mit befristeten Verträgen und drohten mehr oder weniger durch die Blume mit Konsequenzen, wenn die KollegInnen streiken würden. Beamte wurden zeitweise unter Druck gesetzt, Extraschichten in bestreikten Bezirken zu übernehmen. Die MitarbeiterInnen der ausgelagerten DHL Delivery wurden teilweise in 60 km Entfernung zum Streikbruch in andere Städte geschickt. Vorkommnisse dieser Art traten in nahezu jedem Stützpunkt auf und drangen sogar an die bürgerlichen Mainstreammedien. Diese rücksichtslose und brutale Gangart der Arbeitgeberseite hat alle KollegInnen schockiert, vor allem jene, die noch aus der Vergangenheit die „alte Post“ kennen und von der Idee der „Sozialpartnerschaft“ ehrlich überzeugt sind. Der Druck auf die Beschäftigten im Streik war groß, der Arbeitgeber zeigte sich unbeweglich. Nötig wäre daher eine konsequente und effektive Streiktatktik, eine Intensivierung der Öffentlichkeit durch die Gewerkschaft und ein Zusammengehen mit anderen KollegInnen im Streik. Letzteres bot eine besondere Chance – fiel doch der Postreik zeitlich zusammen mit dem Streik der Sozial- und Erziehungsdienste. Leider wurde diese Chance vertan: Beide Arbeitskämpfe liefen parallel, aber aneinander vorbei. Gemeinsame Demos und Kundgebungen blieben aus.

Zentrale Streikziele verfehlt

Besonders war, dass in dieser Tarifrunde ver.di die Forderung nach einer prozentualen Lohnerhöhung mit Arbeitszeitverkürzung verband. Damit wurde ein richtiger Schritt unternommen, die Arbeitsverdichtung und den effektiven Lohnverzicht der letzten Tarifrunden auszugleichen. Zwar behauptete ver.di während des Arbeitskampfes immer noch, dass diese Zugeständnisse der letzten Jahre richtig gewesen seien, aber man war endlich dazu gekommen, mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich die Verschlechterungen zurückzunehmen. Noch zentraler aber war die Forderung nach der Rückgliederung der Beschäftigten der von Lohndumping und miesen Arbeitsbedingungen geprägten Tochtergesellschaft DHL Delivery in den Mutterkonzern. Bsirske und Kocsis bezeichneten diese Forderung als zentrales Ziel und sprachen auf Kundgebungen davon, dass der Kampf nicht beendet werde, bis dies erreicht sei. Auch bei den KollegInnen im Streik war dies das Hauptziel. Die meisten streikten, weil sie der Zerschlagung und Zergliederung des Konzerns Einhalt gebieten wollten. Die Einigung, die dann im Hinterzimmer und auf dem Höhepunkt des Streiks erzielt wurde, schreibt DHL Delivery nun für immer fest. Das Resultat ist, dass KollegInnen in einem Haus für zwei Gesellschaften arbeiten, mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und unterschiedlichen Löhnen. Die Spaltung der Belegschaft sowie Lohndumping ist somit auf Jahre festgeschrieben. Das wird in künftigen Tarifauseinandersetzungen die Ausgangslage für die Gewerkschaften enorm verschlechtern. Entfristete KollegInnen werden nun zunhemend zu DHL Delivery abgezogen. Bei der Brief- und Paketpost soll eine solche Auslagerung an eine Tochterfirma bis 2018 nicht möglich sein. Doch ab da ist damit zu rechnen, dass der Arbeitgeber auch hier auslagern und spalten wird. Trotz allem ist es ver.di kürzlich gelungen, Entfristungen innerhalb des Stammkonzerns durchzusetzen und der Kampf darum, dass die Azubis bei der AG bleiben, ist noch offen. Trotz dieser kleinen Teilerfolge wurde aber das Ziel des Streiks verfehlt: Die Verschlechterungen der letzten Jahre konnten nicht ausgeglichen werden, DHL Delivery bleibt und die Arbeitszeit wird nicht verkürzt. Das Ergebnis ist eine herbe Niederlage und macht die KollegInnen wütend und resigniert. Die Vorstellung dass man wochenlang umsonst gestreikt habe, teilen so ziemlich alle.

Politischer Kampf

Der Poststreik war nicht nur ein betrieblicher und ökonomischer kampf – es war auch ein politischer. Denn der Bund ist immer noch zu 22% größter Aktionär der Deutschen Post/ DHL AG. Der Arbeitskampf richtete sich außerdem gegen die Folgen der in den frühen 1990er durchgesetzten Privatisierung der Post bzw. der Umwandlung dieser in eine gewinnorientierte Aktiengesellschaft. Im Laufe des Arbeitskampfes sammelte ver.di Unterschriften, die die Bundesregierung zu einem Eingreifen zu Gunsten der streikenden Belegschaft aufforderte. Dieser Appell wirkte politisch naiv und verzweifelt. So steht diese Regierung doch klar zur Politik des Neoliberalismus, der Privatisierung und des Wettbewerbs und hat mit ihrem „Tarifeinheitsgesetz“ deutlich klar gemacht, welch gewerkschaftsfeindlichen und arbeitgeberfreundlichen Kurs sie fährt. Wahrscheinlich hätte die Bundesregierung bestenfalls auf eine Schlichtung gedrängt, um den Streik schnell zu beenden. Doch dazu kam es dann ja gar nicht erst, da ver.di ihn selbst vorzeitig beendete. Bezeichnenderweise fiel diese vorschnelle Streikbeendigung in die gleiche Zeit wie die Kapitulation von Tsipras in Griechenland vor der Troika. Zu dem Zeitpunkt wurden gerade große Streikdemos abgehalten und alle ver.di-FunktionärInnen sprachen noch eine kämpferische Sprache. Der Streik hätte da ausgeweitet werden müssen – gerade auch in der Fläche. Das ungleichmäßige Bestreiken von Stützpunkten hatte es dem Arbeitgeber erleichtert, StreikbrecherInnen von A nach B zu schieben und die Streikfolgen zu begrenzen. Politisch hätte offensiv der Schulterschluß mit dem Kampf der ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen gemacht werden sollen: Gemeinsame Demos und Aktionen hätten den öffentlichen Druck erhöht. In Aachen verliefen Versuche durch AktivistInnen des Solibündnisses „Mehr Wert“ (eine Initiative von Eltern und Beschäftigten mit dem S u E – Streik), eine Vernetzung zwischen Kita-Beschäftigten und PostlerInnen anzustoßen, im Sande. Die FunktionärInnen streikten und demonstrierten quasi „aneinander vorbei“. Der Kampf hätte durch breite Öffentlichkeitsarbeit – wie Infostände und Aktionen in der Innensatdt – und inhaltliche Positionierung gegen die Politik der Privatisierung begleitet werden müssen. Doch das hätte zum Konflikt auch mit der SPD geführt, also mit der Partei, deren Parteibuch ein großer Teil des ver.di-Hauptamtlichenapparats besitzt. Dieser Apparat aber scheute diese Konfrontation.

Für Streikdemokratie!

Die Einigung zwischen ver.di und Post-Konzern erreichte die KollegInnen auf dem Höhepunkt des Streikes überraschend und durch die Nachrichten. Eine breite Diskussion unter der Mitgliedschaft fand nicht statt. Überhaupt fehlte es an Versammlungen, wo die KollegInnen die Möglichkeit hatten, offen und demokratisch über die bisherige Bilanz des Streiks, dessen Organisation, Ausrichtung und überhaupt des „wie weiter?“ zu diskutieren. Die Streikleitung lag in der Hand von ver.di-Hauptamtlichen und Betriebsräten. Diskussionen unter den Basismitgliedern fanden nur informell im Streiklokal, beim Streikposten und auf Kundgebungen statt. Dieses Fehlen an Streikdemokratie erwies sich als verheerend. So erfuhren die KollegInnen völlig unvorbereitet und plötzlich vom Abbruch des Streiks und von dem Verhandlungsergebnis, welches kein zentrales Streikziel enthielt. Hinzu kam, dass ver.di die Mitgliedschaft nicht einmal fragte, ob sie damit einverstanden sei. Das Ergebnis wurde als „alternativlos“ dargestellt und die KollegInnen schon am ersten Tag nach Verhandlungsabschluss wieder zur Arbeit geschickt. Diese „Friss oder Stirb“-Mentalität gegenüber der eigenen Basis steht im Kontrast zum Vorgehen beim S u E – Streik, wo die Basis wenigstens gefragt wurde. Dabei wäre völlig klar gewesen, dass die übergroße Mehrheit der Belegschaft das Ergebnis bei der Post und DHL abgelehnt hätte. Das sagen so ziemlich alle KollegInnen. Eine Aussprache über das Ergebnis blieb aus. Bei einer Teilbertriebsversammlung des Bereiches Köln West am 31.10. vernahm man laute kritische Stimmen. Doch sonst bleibt die Kritik vereinzelt. Denn das enttäuschende Ergebnis steht für die nächsten Jahre erst einmal fest.

Wie weiter?

Das schlechte Ergebnis oder klarer ausgedrückt die Niederlage hat Spuren hinterlassen. Die Wut ist immer noch da und das Bewusstsein, dass man sich gegen Mehrarbeit, Lohndumping, krankmachende Arbeit und die weitere Spaltung der Belegschaft wehren muss, ebenfalls. Nur sind viele KollegInnen frustriert und ratlos. Viele wenden sich von ver.di ab und sagen, dass Streiken ja nichts bringe. Dies hat sich die ver.di-Führung selbst zuzuschreiben. Wichtig ist jetzt, dass kämpferische GewerkschafterInnen bei der Post und DHL bzw. der ausgelagerten DHL Delivery sich enger vernetzen und austauschen. Das gemeinsame Treffen von ver.di-Linke und dem Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di am 30.8. in Dortmund, bei dem circa 60 Leute da waren, war ein erster Anfang. Wichtig ist es, kritische und kämpferische KollegInnen zu sammeln und die vielen zu recht Enttäuschten davon abzuhalten, der Gewerkschaft den Rücken zu kehren. Denn der Kampf bei der Post und DHL und DHL Delivery wird weiter gehen. Dazu bedarv es einer alternativen Kampfstrategie, die auf lebendige Streikdemokratie, breite Vernetzung mit KollegInnen anderer Branchen, eine radikale politische Perspektive und letztlich auch personelle Alternativen zu Bsirske, Kocsis & Co. setzt. Aus der Niederlage dieses Jahres gilt es zu lernen, denn die Pläne des Post-Konzerns, auf dem Rücken der Belegschaft die Rendite zu steigern, erfordert mehr denn je konsequente Gegenwehr.

von Martin Schmidt, Postzusteller aus Aachen

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2 Antworten

  1. „Diese „Friss oder Stirb“-Mentalität gegenüber der eigenen Basis steht im Kontrast zum Vorgehen beim S u E – Streik, wo die Basis wenigstens gefragt wurde.“

    Naja… Das ist eine sehr wohlwollende Darstellung der bürokratisch inszenierten „Demokratie“ im SuE-Streik. Wer hat nochmal die Schlichtung angerufen?

    Was wir brauchen ist wirkliche Streikdemokratie, d.h. den Rauswurf der Bürokratie aus unseren Gewerkschaften, und nicht bürokratische Theaterspiele der „Partizipation“.

  2. Sie sagen es. Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob sich die Bürokratie einfach so „herauswerfen“ lässt. Oder ob es nicht sinnvoller wäre alternative Gewerkschaften – d.h. Basisgewerkschaften – zu gründen beziehungsweise bestehenden beizutreten und auch auf breitem Feld dafür zu werben. Das ist mit Sicherheit kein Spaziergang aber meines Erachtens aussichtsreicher.

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