Warnstreik in der Post: „Es geht um viel mehr als die Forderungen“ – im Gespräch mit Marcus Schmid

Mitten im Ostergeschäft begehen die Beschäftigten der Post ihren zweiten Warnstreiktag. Ihnen geht es nicht einfach um eine Lohnerhöhung: 10.000 Angestellte kämpfen vor allem gegen die ausufernde Praxis der Befristungen, Arbeitsverdichtungen und chronische Mehrarbeit. Wir haben mit Marcus Schmid gesprochen, Angestellter der Post in Aachen und Aktivist der Linksjugend, der an den Warnstreikkundgebungen teilgenommen hat und haben gefragt, warum sich AktivistiInnen in Streiks einmischen sollten.

Die Freiheitsliebe: Worum geht es bei den aktuellen Tarifauseinandersetzungen Marcus?

Marcus Schmid: Es geht uns vor allem darum, dass immer mehr Bezirke der Post in Tochterunternehmen ausgegliedert werden, in denen dann zu wesentlich schlechteren Bedingungen gearbeitet werden muss. So versucht die Post den Haustarifvertrag zu umgehen. Verdi fordert im Kern den Stopp der Ausgliederungen, den die Gewerkschaft als Tarifbruch betrachtet und eine Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden auf 36,5 Wochenarbeitsstunden.

Die Freiheitsliebe: Und wie ist die Stimmung in der Belegschaft?

Marcus Schmid: Kämpferisch, würde ich sagen. Es sind die ersten Warnstreiks die ich miterlebe, seit ich für die Post arbeite. Und das sind jetzt fast acht Jahre. Die Kolleginnen und Kollegen sind einfach frustriert, denn in der Branche hat sich nichts zum bessere gewandelt, seit die deutsche Post umgewandelt wurde. Wir haben in unserer Verteilstelle ca. 135 Mitarbeiterinnen, ein Drittel ist verbeamtet, aus der Zeit vor 1995. Der Rest ist angestellt. Es gibt ein massives Gefälle innerhalb der Belegschaft. Wir waren am Anfang des Warnstreiks um 5 Uhr ca. zehn Personen. Am Ende waren es dann 40. Was ich beeindruckend fand war, dass das ein Arbeitskampf ist, der mit viel angestauter Wut und Unmut geführt wird. Viele KollegInnen sehen den Streik als Ausdruck allgemeinen Unmuts. Es geht um viel mehr als die Forderungen.

Die Freiheitsliebe: Was bedeutet das genau?

Marcus Schmid: Naja, das heißt im Klartext, dass es die unterschiedlichsten Verträge für ähnliche Tätigkeitsfelder gibt. Während die Beamten sichere Arbeitsplätze haben, die relativ ordentlich bezahlt werden, ist die Praxis heute eine ganz andere. Heute bekommt man in der Regel nur noch Kettenbefristungen und geringere Sonderleistungen.

Die Freiheitsliebe: Kannst du uns ein Beispiel nennen?

Marcus Schmid: Klar. Eine Kollegin arbeitet bereits über drei Jahre in unserem Zustellstützpunkt. Seit drei Jahren erhält sie ständig „betriebsbedingte Befristungen“. Das ist eine absolute Sauerei, wie soll man so eine Familie oder seine Zukunft planen? Andere arbeiten sogar noch länger im selben Zustellzentrum und sind lediglich befristet. Die Post AG arbeitet auf kosten seiner Beschäftigten. Wir haben alle mitbekommen, dass die Arbeitsbedingungen wie Dichte, Bezirksgröße und Verträge, seit der Umwandlung schlechter geworden sind.

Die Freiheitsliebe: Und wie geht die Post vor Ort mit eurem Warnstreik um?

Marcus Schmid: Ich glaube genauso wie sich viele das vorstellen. Im Vorfeld der Warnstreiks gab es echt seltsame Aktionen. So hat die Hausinterne Zeitung z.B. auf dem Cover den Titel gehabt „Ein Streik nützt nur den anderen“ und hat damit versucht, die KollegInnen einzuschüchtern. Zudem wurden vor wenigen Wochen Monitore aufgestellt, auf denen den ganzen Tag lang Botschaften laufen wie „Die Post ist ein sozialer Arbeitgeber“  und „Wir begehen keine Tarifflucht“. Das hat für Aufregung innerhalb der Belegschaft gesorgt, schließlich wissen wir alle, dass das nicht stimmt. Der Geschäftsführer vor Ort lies zudem durch die Blume mitteilen, viele hätten ja lediglich befristete Verträge. Die Kollegin, die seit drei Jahren befristet ist, erklärte dann einfach: „Was hab ich schon zu verlieren, außer, dass ich keine Verlängerung bekomme?“ Einige Beamte, die nicht Streiken dürfen, wurden angeblich dazu angehalten Pakete auszutragen.

Die Freiheitsliebe: Welche Rolle spielt Verdi vor Ort?

Marcus Schmid: Es ist zu früh um Verdis Streikpolitik zu bewerten. Es kommt darauf an, wie die Gewerkschaft jetzt weiter verhandelt. Wenn es keine Einigung gib, kann es im Mai zu mehreren Tagen Streik kommen. Bisher ist die Rolle der Gewerkschaft sehr positiv, denn es geht nicht nur um Lohnforderungen. Es geht darum, dass die Praxis der Ausgliederungen in Tochtergesellschaften in Frage gestellt und als Bruch der Tarifvereinbarungen gesehen wird. Ein aktuelles Beispiel ist DHL Deliveriy. Fast die Mehrheit der Angestellten der DHL haben befristete Verträge. Denen hat man immer gesagt, es ist aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, sie unbefristet anzustellen. Nun stellt jedoch das Tochterunternehmen DHL Delivery diese Leute ein, unbefristet. Der Haken: Sie verdienen durch geringere Zulagen fast 3.000 Euro weniger im Jahr. Leider müssen viele KollegInnen dieses Angebot – zwecks Planungssicherheit – annehmen.

Die Freiheitsliebe: Was hat es denn mit der Aktion der Linksjugend auf sich? Was hat Politik denn mit Wirtschaft zu tun?

Marcus Schmid: Das alles ist eine politische Frage, denn politische Richtungensentscheidungen haben dazu geführt, dass es ist wie es ist. Ältere Kolleginnen, Beamte z.B., wissen, dass es früher anders war, mit angenehmen Arbeitsklima und sicherer Versorgung. Daher haben wir als Gruppe beschlossen, den Streikenden unsere Solidarität auszusprechen. Vor Ort haben wir ein Solidaritätsschreiben verteilt und den Menschen unsere Solidarität ausgesprochen, sind mit ihnen ins Gespräch gekommen.

Die Freiheitsliebe: Und dann? Wie haben die Leute reagiert?

Marcus Schmid: Im Schnitt kam es gut an. Einige waren eher skeptisch gegenüber dem Verband, der Partei bzw. der Solidarität. Es kam zu ironischen Ansprachen, wir würden nur auf Stimmfang gehen. Doch wir haben ihnen erklärt, dass Politik eben mehr als bloße Wahlen sind. Wichtig ist, dass man die Leute nicht belehrt, sondern das Wort Solidarität mit Leben füllt. Es ist eben kein Wahlkampf, sondern die praktische Solidarität. Der Arbeitskampf betrifft mehr Menschen als nur die ArbeiterInnen vor Ort. Was gut ankam, ist das überhaupt eine Organisation da war, die Solidarität zeigt. Das ist allgemein leider nicht so üblich. Mit einer Ansprache und einem Schreiben bewaffnet sollten viel mehr Gruppen an Streikkundgebungen teilnehmen.

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5 Antworten

  1. Mein lieber D. Kerekes,

    Arbeit ist doch nicht nur eine betriebswirtschaftliche Größe, sondern auch eine Ware.
    Nicht wahr? Und in Zeiten der (von Menschen, nicht von Gott gemachten) Globalisierung steigt der Wettbewerbsdruck. Und diesen Druck geben die Unternehmen eben an die Beschäftigten weiter.
    Das ist nicht gut so, aber folgerichtig. Denn die Deutsche Bundespost ist schon länger Geschichte.
    Selbst öffentliche Krankenhäuser wurden und werden privatisiert. Letzteres finde ich ausgesprochen schlecht.
    An der ganzen Diskussion, damit meine ich nicht Ihren Beitrag, stört mich, dass diejenigen die vor Jahren die Globalisierung als Entnationalisierung gefeiert und begrüßt haben (das sind fast alle Linken) nun zurückrudern wollen. Eine späte Einsicht!
    Aber ein Zurückrudern gibt es nur unter Bruch der geschlossenen Vereinbarungen und sind im EU Raum, wo das Ziel die vollständige Auflösung aller Staaten und Regierungen ist, ohnehin nicht machbar. Ich rede hier von den gewerkschaftsnahen Ökonomen. Diese müssten sich z.B. teilweise der AfD annähern oder auf Änderungen verzichten. Und genau das geschieht! Die verzichten.
    Deshalb wird der Wettbewerbsdruck weiter zunehmen, „Handelshemmnisse“ weiter abgebaut werden und damit muss der Preis der Ware Arbeit tendenziell weiter sinken.
    Lieben Gruß Kuno.

    1. Siehe dazu meinen obigen Beitrag.
      Dieser beantwortet auch diese Meinungsäußerung, dass es niht nur um Lohnerhöhungen ginge, sondern auch um Befristungen der Arbeitsverträge.
      Genau!
      Da hatte ich dorch die Ursachen benannt: Globalisierung auch der Arbeitswelt – und die Linken war damals der Ersten, die gerufen hatten: ja wollen wir!
      Und nun wird unsere Arbeitswelt eben Stück für Stück durch international übliche Normen bereichert.

      1. Nochwas: in China, in chinesischen Betrieben, ist es üblich, dass, wenn ein Arbeiter oder Arbeiterin auf die Toilette will, vorher der zuständige Gruppenleiter um Erlaubnis gefragt werden muss.

        Man sollte sich eben vorher genau anschauen, wenn man eine Internationalisierug und Globalisierung unterstützt, auf was man sich da einlässt. Das haben deutsche Gewerkschafter versäumt!

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