GDL

Streiken ist ein Grundrecht!

Streiken ist ein Grundrecht, es wird im Grundgesetz1 garantiert. Doch wird daran seit langem gekratzt. Nun soll ein neues Gesetz die „Tarifeinheit“ herstellen, wodurch das Streikrecht eingeschränkt wird: Gibt es zwei Gewerkschaften in einem Betrieb, darf die kleinere von beiden keine Tarifverträge abschließen und demzufolge dafür auch nicht zum Streik aufrufen. Das Tarifeinheitsgesetz steht im Koalitionsvertrag der GroKo. Und Arbeitsministerin Andrea Nahles ist fleißig dabei, es umzusetzen.

In 2010 hatten DGB und BdA2 sich bereits in einer gemeinsamen Erklärung zur Tarifeinheit bekannt und wollten dieses Gesetz.3 Die Vereinbarung wurde aber aufgekündigt, weil die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, ver.di, nach massiven Mitgliederprotesten auf den DGB einwirkte. Insbesondere durch den ver.di-Fachbereich 8, in dem unter anderem die kämpferischen Belegschaften aus Druckereien organisiert sind, wurde das uneingeschränkte Recht auf Streik eingefordert.

Die damalige Bundesregierung mit CDU/CSU/FDP verfolgte den Plan dann nicht weiter. Mit der SPD soll das Streikrecht nunmehr marktgerecht und arbeitgeberfreundlich deformiert werden.

Bereits jetzt ist das Streikrecht massiv ausgehöhlt. Ursache sind die Deregulierungen im Arbeitsrecht. So können Leihkräfte in bestreikten Betrieben eingestellt werden. Auch wer auf Arbeitssuche ist, muss vom Jobcenter vermittelte Jobs in bestreikten Betrieben annehmen, wenn keine Kürzung des Leistungsbezuges erfolgen soll. Ebenso erleichtert die ausgehebelte Mitbestimmung des Betriebsrates bei Streik den Arbeitgebern, Streikbrecher in die Betriebe zu holen.

Derzeit wird der Eindruck erweckt, dauernd würde hierzulande gestreikt. Doch nur selten nehmen Beschäftigte in der Bundesrepublik Deutschland ihr Recht wirklich in Anspruch. So kam es in 2013 nur zu 551.000 Ausfalltagen durch Streiks, 80.000 weniger als in 2012. Nach Schätzung des WSI fielen hierzulande im Zeitraum zwischen 2005 und 2012 im Jahresdurchschnitt pro 1000 Beschäftigte 16 Arbeitstage durch Arbeitskämpfe aus. In Frankreich kamen auf 1000 Beschäftigte hingegen nach amtlichen Angaben im Jahresmittel 150 Arbeitskampftage. In Kanada waren es 117 Tage, in Dänemark 106, in Belgien 73, in Großbritannien 26, in den USA 10, in den Niederlanden 9 und in Österreich 2 Tage.4

Doch haben sich die Branchen verschoben, in denen gestreikt wird: Mittlerweile sind vier von fünf bestreikten Betrieben der Dienstleistungsbranche zugehörig. Das mag den individuellen Eindruck erwecken, es werde mehr gestreikt als früher. Wenn in Kitas, im Öffentlichen Dienst oder bei der Bahn gestreikt wird, macht sich das unmittelbar bemerkbarer, als wenn eine Produktion ausfällt. Allenfalls Druckerstreiks sind vielen Menschen dadurch in Erinnerung, dass die Zeitung dann auch mal dünner ist oder auch einmal gar nicht erscheint.

Lokführer durften bis vor 20 Jahren nicht streiken. Sie waren im westlichen Teil der Bundesrepublik verbeamtet. Die Umfirmierung der Bahn 1994 in eine AG, die oft auch als Privatisierung bezeichnet wird, änderte den Status der Lokführer. Daher ist die Erfahrung, dass Züge stehen, eine recht junge. Bereits vor sieben Jahren traten die Lokführer in den Ausstand. Auch damals wurde der mittlerweile ehemalige Vorsitzende der GDL5, Manfred Schell, von vielen Medien dämonisiert. Dennoch besaßen die Lokführer die überwiegende Sympathie der Bevölkerung. Was ist diesmal anders?

Die GDL streikt dieses Mal nicht nur für bessere Löhne und weniger Arbeitszeiten. Sie streikt auch für das Recht, weiteres Zugpersonal neben den Lokführer zu tarifieren. Es handelt sich bei den Streiks also auch um einen so genannten Erzwingungsstreik. Dennoch stehen im Zentrum der GDL-Forderungen 5 Prozent mehr Lohn, eine vertraglich vereinbarte Begrenzung der Überstunden und eine Verkürzung der Arbeitszeit von 39 auf 37 Stunden. Außerdem vertritt die GDL eine maßgebliche Anzahl an ZugbegleiterInnen, sodass sie auch für diese Berufsgruppen das Recht einfordert, für sie Tarifverträge abschließen zu dürfen. In einer Streikzeitung der GDL heißt es passend zu dem Vorwurf, sie würde konkurrierende Tarifverträge in einem Betrieb wollen: „Eigentlich rotzfrech, wenn ein Bahnvorstand, der den Konzern in 900 betriebliche Einheiten aufspaltete, nun plötzlich der Einheitlichkeit das Wort redet.“ 6

Streiken ist ein Grundrecht. Es ist das Grundrecht jedes Menschen, der ansonsten keine Macht und Möglichkeit hat, seine Interessen durchzusetzen. Ob ein Streik unverhältnismäßig ist, kann sich nicht ausschließlich daran entscheiden, welchen Schaden er anrichtet. Dazu muss auch das Verhalten der Gegenseite betrachtet werden: Verweigert sie Verhandlungen? Geht sie auf Forderungen nicht ein? Hat die Gegenseite durch schlechte Arbeitsbedingungen dazu beigetragen, dass es zum Streik kommt? Diese Fragen werden zu wenig in der Öffentlichkeit thematisiert – und deswegen wird die GDL als alleinige Verursacherin der Streiks dargestellt. Streiks sind aber immer ein letztes Mittel. Und wenn die Gegenseite Verhandlungen verweigert bzw. Verhandlungsthemen von vornherein ausschließt, dann bleibt einer Gewerkschaft nichts anderes, als zum Streik aufzurufen. Ansonsten bleibt ihr nur das kollektive Betteln.

Die streikenden Lokführer und das weitere Zugpersonal benötigen dringend mehr Solidarität. Und zwar von allen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, egal welcher Gewerkschaft sie angehören. Denn die Bundesregierung nutzt die Stimmungsmache konservativer Medien und der Boulevardpresse, um ihr Tarifeinheitsgesetz durchzudrücken. Sie bedient damit ausschließlich die Interessen der Arbeitgeber, die dieses Gesetz schon vor vier Jahren realisiert wissen wollten.

Ein Gastbeitrag von Kersten Artus, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft für die Linke.

1 Artikel 9, Absatz 3 Grundgesetz:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

2 Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände

3 www.dgb.de/themen/++co++81408d58-6fc6-11df-59ed-00188b4dc422

4 http://www.boeckler.de/wsi-tarifarchiv_42406.htm

5 Gewerkschaft Deutscher Lokführer, siehe auch http://www.gdl.de/UeberUns/Startseite

6 http://uploads.gdl.de/Aktuell-2014/Telegramm-1415468348.pdf

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