Transformation der Industrie braucht Druck von unten

Damit die Transformation der Industrie nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, müssen die Gewerkschaften in die Offensive kommen und mit der Sozialpartnerschaft brechen. Von Tilman von Berlepsch

Die Ankündigung der Bundesregierung kam unmittelbar nach der Verkündung des „Klimaurteils“ des Bundesverfassungsgerichts: Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden – noch fünf Jahre vor der EU. Bis 2030 sollen nur noch 437 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen werden. Die Festlegung eines begrenzten CO2-Budgets ist ein Erfolg der Klimabewegung. Doch global ist dieses Budget in schon sieben Jahren aufgebraucht, wenn das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden soll. Die Zeit drängt.

SPD-Finanzminister Scholz bemerkte nach dem Urteil: „Ziele sind noch keine Maßnahmen« und versuchte zu übertönen, dass er maßgeblich an dem unzureichenden Maßnahmenpaket mitgewirkt hat. Jetzt will die Bundesregierung mit dem „Sofortprogramm 2022“ acht Milliarden zusätzlich für den Klimaschutz nachschießen. Zum Vergleich: DIE LINKE fordert 45 Milliarden pro Jahr an zusätzlichen Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft.

Transformation und Gewerkschaften

Nun mag aus sozialpartnerschaftlicher Perspektive die Forderung nach mehr staatlichen Investitionen attraktiv sein, damit der sich verschärfende Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit abgemildert werden kann. Klar muss aber sein, dass die Konzerne, die jahrzehntelang ihren Reibach mit umwelt- und klimazerstörender Produktion machen konnten, jetzt auch die Hauptlast für den Umbau der Industrie zu tragen haben. Vor allem die deutsche Autoindustrie konnte trotz Abgasskandal in den letzten Jahren Rücklagen in Höhe von 180 Milliarden Euro bilden. Wenn sich Milliardenkonzerne jetzt nagelneue Fabriken auf der grünen Wiese aus Steuergeldern finanzieren lassen, dann können Gewerkschaften und LINKE das nicht bedingungslos unterstützen.

Fakt ist: Die Industrie steht vor disruptiven Umbrüchen, vor allem im Energiesektor, der Auto-, Maschinenbau-, Konsumgüter-, Chemie- und Grundstoffindustrie. Mit der Digitalisierung, die von den Unternehmen häufig als Rationalisierungsangriff für Stellenabbau und Arbeitsverdichtung benutzt wird, sowie dem „Brandbeschleuniger“  Corona verschärft sich die Situation vieler Beschäftigter zusätzlich. Zur bitteren Wahrheit gehört: Manche Branchen und Unternehmen werden verschwinden. Die Gewerkschaften müssen hier offensiv dafür kämpfen, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben, indem Betriebe auf neue Produkte umgestellt werden, statt sie einfach zu schließen.

Markt wird das Problem nicht lösen

Das Problem: Wirtschaft, Bundesregierung und die Grünen setzen vor allem auf Marktinstrumente wie Emissionshandel und CO2-Preis, gespickt mit ein bisschen Technologie- und Forschungsförderung. Doch der Markt wird das Problem nicht lösen. Es braucht ordnungspolitische Eingriffe in den Markt. Bestimmte Technologien müssen verboten werden. Solche Verbote müssen gegen die Interessen der Konzerne durchgesetzt werden.

Für den Umbau der Industrie ist eine gewerkschaftliche Offensive notwendig. Die Gewerkschaften müssen sich trauen, die Interessen der Beschäftigten gegen die Konzerne durchzusetzen. Ohne einen Bruch mit dem sozialpartnerschaftlichen Kurs der Gewerkschaften wird dies nicht gehen. Es gibt zu dem Konflikt mit den Konzernen keine Alternative. Eine Abwicklung des Betriebs und die Verlagerung der Produktion wird für viele Unternehmen der günstigere und bequemere Weg sein. Nur mit einer Betriebsoffensive, die eine transformative Industriepolitik „von unten«“ gegen die Konzernleitungen durchsetzt, können Arbeitsplätze erhalten und eine sozial-ökologische Wende erkämpft werden. Das Ziel ist dabei der Umbau, nicht der Abbau der Industrie.

Chancen der Transformation

Sechs Prozent der gesamten deutschen Industrieproduktion sind schon jetzt der Umweltschutzgüterproduktion zuzurechnen. Der für den Klimaschutz dringend benötigte Ausbau von Solar- und Windkraft, der Produktion von umweltfreundlichen Mobilitätsgütern sowie im Recyclingbereich kann viele neue Arbeitsplätze schaffen und die Verluste durch die Stilllegung klimaschädlicher Industrien mehr als ausgleichen.

Die LINKE sollte in ihrem Wahlkampf viel mehr die Chancen des Umbaus für Beschäftigungserhalt und neue Jobs zum Ausdruck bringen, anstatt in konservierende Abwehrkämpfe zu verfallen, wie etwa in Brandenburg, wo DIE LINKE sich zur Beschäftigungssicherung auf die Seite der Kohleindustrie stellte, statt gemeinsam für neue Jobs in klimafreundlichen Branchen zu kämpfen und den Beschäftigten so eine Alternative zu bieten.

Rettungsschirme für Beschäftigte zu fordern ist zwar richtig und wichtig. Gleichzeitig gilt es jedoch zu betonen, welche Möglichkeiten durch die Transformation für Kommunen und ganze Regionen entstehen und dann gemeinsam mit den Gewerkschaften und der Umweltbewegung dafür zu kämpfen.

Klimafrage ist eine Klassenfrage

Laut Umweltbundesamt arbeiten schon jetzt 2,8 Millionen Beschäftigte in Umweltberufen, das entspricht jedem 15. Job – Tendenz steigend. Das Potenzial für neue Beschäftigung alleine im nachhaltigen Mobilitätssektor beträgt netto über eine Million Stellen. Beschäftigte mit einer Zukunftsperspektive und der dafür notwendigen Umschulung und Qualifizierung sind viel eher bereit, neue Wege zu gehen.

Klar ist, dass in den neu entstehenden Branchen und Berufsfeldern die tariflichen Standards nicht unterlaufen werden dürfen. Die Gewerkschaften müssen für gute Löhne und Arbeitsbedingungen kämpfen. Auch das Thema Arbeitszeitverkürzung gehört auf die Agenda, wie auch die Forderung nach einem Recht auf Mitbestimmung der Beschäftigten über Investitionsentscheidungen, samt Vetorecht – ein rotes Tuch für die Konzerne, aber unabdingbar für eine Transformation, die nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird.

Subventionen dürfen nur gegen einklagbare Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung, Mitbestimmung, Tarifbindung und Umweltauflagen ausgezahlt werden. Auch in soziale Infrastruktur muss massiv investiert werden In den sozialen Berufen besteht eine Beschäftigungslücke von mindestens 1,2 Millionen Vollzeitstellen. Und auch die Aufwertung dieser Berufe muss erkämpft werden.

Ein Bericht von Oxfam zeigt, dass das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung zwischen 1990 und 2015 mehr als doppelt so viel klimaschädliches CO2 ausgestoßen hat wie die ärmere Hälfte zusammen. Die Klimafrage ist also eine Klassenfrage. Zeit, dass die Gewerkschaften sie auch als eine solche behandeln.

Der Beitrag erschien im neuen Marx21-Magazin

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