Die Studierenden fordern: "Freie Bildung für alle" Foto: Për Universitetin

Albanien – Ein Bildungssystem am Abgrund

Seit über einem halben Jahr formiert sich die Keimzelle des Widerstands gegen die Reformen der sozialdemokratischen Regierungen im Bildungs- und Gesundheitssektor. Sie sehen eine komplette Privatisierung der höheren Bildung vor und knüpfen nahtlos an die Reformen der konservativen Vorgängerregierung an.

Die Proteste der Studierenden begannen Ende vergangenen Jahres. Ausgelöst wurde der Protest durch angedrohte Erhöhungen der Studiengebühren von jährlich bis zu 30 Prozent. Die Reformen, die zur neoliberalen Hochschule führen sollen, wurden 2010 von der konservativen Regierung angestoßen, werden nun aber von der sozialdemokratischen Regierung, der Dritte Weg, fortgeführt. Im Prinzip geht es um die komplette Neoliberalisierung des Hochschulwesens: Neben der Erhöhung der Studiengebühren wurde auch die Autonomie der Hochschulen angegriffen. So wurden z.B. „Strafen“ für Studierende, die mehrmals durch eine Prüfung fallen sowie ein NC auf Masterstudiengängen eingeführt.

Neues Hochschulgesetz

Das neue Hochschulgesetzt sieht vor, dass die Hälfte aller Hochschulen privat betrieben werden sollen, um somit eine marktähnliche Situation unter den Hochschulen zu erzeugen. Konkret würde dies bedeuten, dass die Hälfte aller Hochschulmittel des Staates an private Einrichtungen gezahlt würden und staatliche Hochschulen somit das Nachsehen hätten. Opposition und Studierende vermuten, dass damit höhere Hochschulgebühren durch die Hintertür eingeführt werden sollen. Denn Aufgrund der fehlenden Einnahmequellen, werden die meisten staatlichen Universitäten und Fachhochschulen gezwungen sein, Studiengebühren einzuführen oder zu erhöhen. Private Hochschulen erhalten im Gegenzug kostenlose Infrastruktur vom Staat, während sie Einnahmen durch Studiengebühren generieren.

Dies hat vor allem für ärmere Familien schwerwiegende Konsequenzen, so dass Kinder aus Arbeiterfamilien nicht mehr

Proteste in Tirana Foto: Për Universitetin
Proteste in Tirana Foto: Për Universitetin

werden studieren können, denn die Arbeitslosigkeit beträgt nach offiziellen Angaben 23 Prozent und die Armut im Land ist hoch. Die Proteste, die jetzt wieder größer werden, finden an der größten staatlichen Universität in Tirana statt. In den vergangenen Monaten haben die Studierenden dort zwei Fakultäte besetzt, unter anderem das Polytechnikum. Zudem haben die Studentinnen und Studenten über 6.000 Unterschriften gesammelt, die sich gegen die Erhöhung der Studiengebühren richten, mit dem Ziel „kostenlose Bildung für alle“, vom Kindergarten bis zur Hochschule.

Bewegung „Für die Universität“

Die Studierenden der Bewegung „Für die Universität“ wehren sich indes gegen den Druck des Privatsektors: „Die neuen Gesetze, die eine ‚Expertenkommission‘ geschrieben hat, wurden von der Regierung aufgrund des Drucks der Privatwirtschaft implementiert‘, erklärt die Bewegung in einer Pressemitteilung. „Die Hauptprobleme, wie Unterbringung und die Studienbedingungen, werden komplett unter den Teppich gekehrt.“ Për Universitetin, wie die Bewegung auf albanisch heißt, hat vier Kernforderungen: 1. Rücknahme aller Privatisierungsgesetze im Hochschulbereich. Stattdessen die komplette Demokratisierung der Hochschule von unten. 2. Die Stufenweise Rücknahme der Studiengebühren bis zu ihrer kompletten Abschaffung. 3. Erhöhung des Bildungsbudgets. 4. Ausbau der Studierendenbeteiligung in allen Belangen der Universität.

Repressionen nehmen zu

Während der vorletzten Fakultätsbesetzung in Tirana wurde den Studierenden mit Rausschmiss gedroht. Doch die Universitätsleitung der größten albanischen Universität in Albanien geht sogar noch weiter: So wurde der Politikwissenschaftler Dr. Hysamedin Feraj entlassen, weil er öffentlich die Proteste unterstützte. Das Rektorat versucht so einen Keil zwischen Dozierende und Studierende zu treiben. Der Widerstand der Studentinnen und Studenten ist nicht nur ein Zeichen gegen die Neoliberalisierung der Hochschule, sondern auch ein Keim des Widerstands gegen die Sparpolitik des Staates. Die Wirtschaft liegt seit Jahrzehnten brach, die Industrie ist nicht existent. Wenn nun der Bildungssektor für einen großen Teil der Bevölkerung unzugänglich wird, beraubt es die Menschen einer weiteren Möglichkeit, sich aus ihrer Lage zu befreien. Doch der Kampf um die Hochschule könnte die Keimzelle des Widerstandes der unterdrückten Klasse sein.

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