Das System hinterfragen und Fluchtursachen bekämpfen

Immer mehr Menschen strömen nach Europa – Folgen von Krieg, Umweltzerstörung und wirtschaftlicher Ausbeutung in ihren Herkunftsländern, zumeist verursacht durch die wirtschaftlichen Zentren dieser Welt. Doch in Deutschland angekommen müssen viele Geflüchtete mit neuen Problemen kämpfen: Drohende Abschiebungen, der zurückgebliebenen Familie, rechte Gewalt und einer stetig anwachsenden Stimmung gegen Menschen, die nichts mehr besitzen als das, was sie am Leib tragen. Marco Burbach engagiert sich in Bitburg für Geflüchtete. Dort sollen nun über 125 weitere Geflüchtete in einer „Zeltstadt“ untergebracht werden. Mehr als Fragwürdig, findet Marco Burbach.

Die Freiheitsliebe: Marco, warum werden 250 Flüchtlinge in einer so kleinen Stadt wie Bitburg untergebracht?

Marco Burbach: Die Unterbringung der Flüchtlinge hier in Bitburg ist notwendig geworden, weil die Erstaufnahmeeinrichtung in Trier überfüllt ist. Wie angespannt die Situation in der AfA momentan ist, hat sich dieser Tage gezeigt. 1460 Menschen, darunter auch Familien, sind in der Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung in Trier-Euren untergebracht. Geplant war diese Außenstelle jedoch für maximal 180 männliche Flüchtlinge. Die meisten von uns kennen die Situation, wenn man mit vielen Menschen eine längere Zeit auf engstem Raum zusammen lebt. Wenn dann keine geeigneten Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sind, kommt es zu Stress.

Es gab bereits im letzten Jahr den Versuch, einen Teil der in der Erstaufnahmeeinrichtung untergebrachten Flüchtlinge in einem Hotel auf dem ehemaligen Air Base in Bitburg unter zu bringen. Aufgrund von Brandschutzvorschriften wurde dies aber nicht verwirklicht. Die Zeltstadt ist nun auf einem anderen Geländeteil des Hotels errichtet worden. Diese Notunterkunft soll nur bis Mitte September genutzt werden. Bis zu diesem Zeitpunkt sollen neue Unterkünfte Bezugsfertig sein. Die gute Verkehrsanbindung zwischen Bitburg und Trier war wohl auch ein Grund, Bitburg als Standort zu wählen.

Wie kann es sein, dass Geflüchtete in Zelten und Turnhallen untergebracht werden, ist das nicht Menschenunwürdig?

Man muss ganz klar feststellen, dass eine Unterbringung in Zelten und Turnhallen keines Falls menschenwürdig ist. Zu viele Menschen auf engem Raum, ohne jegliche Rückzugsmöglichkeiten besonders für Familien und Kinder sind keine menschenwürdigen Bedingungen! Andererseits muss man aber auch die Situation in der AfA Trier sehen. Hier schlafen teilweise Menschen unter freiem Himmel oder auf den Fluren. Wenn wir unter diesem Aspekt die Frage der Unterbringung in Zelten und Turnhallen betrachten, kann man schon sagen, dass diese „menschenwürdiger“ ist.

Trotzdem muss, besonders mit Blick auf den kommenden Winter, schnellstmöglich daran gearbeitet werden, dass die Flüchtlinge in feste Behausungen kommen. Eine Zeltstadt kann und darf nur eine kurzfristige Notlösung sein! Als „des Menschen Unwürdig“  empfinde ich es auch, wenn wir zulassen, dass tausende von Flüchtlingen im Mittelmeer ertrinken, dass auch Deutschland am Krieg in anderen Ländern verdient, dass wir imperialistische Kriege mit unterstützen und dass wir es als Europäische Union nicht schaffen, gemeinsame Standards für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zu formulieren und diese ein zu halten.

Gibt es nicht genug Wohnraum im Trierer Umland, für eine vernünftige Unterbringung?

Prinzipiell schon. Nur gibt es auch hier Probleme: geplante neue Erstaufnahmeeinrichtungen, wie zum Beispiel in Hermeskeil, werden durch bürokratische Hürden und die ständige Debatte um die Finanzierung solcher Projekte meist erst viel später bezugsfertig als geplant. Die Anpassung an neue Brandschutzbedingungen und die Sanierung alter Gebäude ist zudem auch nicht an einem Tag zu bewerkstelligen. Zusätzlich versucht manch ein Vermieter aus der Not der Menschen Profit zu schlagen. Teilweise wird Wohnraum angeboten, den man eigentlich nicht mehr als Wohnraum bezeichnen dürfte. Aber auch Vorurteile gegen Asylbewerber spielen bei der Suche nach Wohnraum immer wieder eine Rolle. Ich sehe hier alle in der Pflicht, diese Vorurteile ab zu bauen.

Besonders im ländlichen Raum ergeben sich weitere Probleme: Die Flüchtlinge, die dort untergebracht werden, sitzen teilweise auf den Dörfern fest. Die Mobilität der Menschen spielt eine entscheidende Rolle für die Integration. Wie sonst soll es den Flüchtlingen möglich sein, zum Beispiel Sprachkurse in der nächst größeren Stadt zu besuchen? Mir ist vor ein paar Jahren ein Mann begegnet, der zu Fuß zwischen Bitburg und seinem Heimatort unterwegs war. Ich bot ihm an, mit zu fahren. Er erzählte mir dann, dass er aus dem Irak geflüchtet sei und dass er gerade von einem Sprachkurs in Bitburg komme und das Geld diesen Monat nicht ausgereicht hat, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwei Mal in der Woche nach Bitburg zu fahren. Dies zeigt deutlich, wie wichtig die Einrichtung von Fahrdiensten für Flüchtlinge und der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs sind.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung? Ist ein neues Freital zu erwarten?

Ein neues Freital ist hier momentan nicht zu befürchten.  Ich habe vor etwas mehr als einer Woche eine Gruppe in einem sozialen Netzwerk gegründet, um Menschen zu vernetzten, die helfen wollen. In dieser Gruppe haben sich inzwischen über 600 Menschen zusammen gefunden, die sich solidarisch mit den Flüchtlingen zeigen, Sachspenden sammeln oder auch selbst aktiv helfen wollen, um die Not der Flüchtlinge zu mildern.

Natürlich gibt es auch in unserer Region geistige Brandstifter, die am Stammtisch oder in sozialen Netzwerken gegen Flüchtlinge hetzen. Die Diskussionen der letzten Tage zeigen, dass wir überall dafür Sorge tragen müssen, dass Rassismus nicht „Salonfähig“ wird. Dazu zählt aber auch, dass sich die politischen Akteure so mancher Partei endlich davon verabschieden, Flüchtlinge in „gut“ oder „schlecht“, anders gesagt, in kapitalistisch verwertbar oder nicht, zu unterscheiden. Diese Rhetorik, diese Art von Aufwiegelung, hat bereits in den 90er Jahren dazu geführt, dass Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte an der Tagesordnung waren. Haben wir den nichts aus der Vergangenheit gelernt? Insgesamt müssen wir davon abkommen, immer nach unten zu treten. Egal, gegen welche „Minderheit“ gerade Stimmung gemacht wird: Hinterfragen wir das kapitalistische System, hinterfragen wir die Strukturen, die dazu führen, dass immer ein paar wenige viel Geld anhäufen und andere nicht das nötigste zum Leben haben.

Marco Burbach ist Sprecher der Linkspartei in Bitburg.

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3 Antworten

  1. Hallo Herr Kerekes, hallo Herr Burbach,

    darf ich fragen wieviel Flüchlinge sie beide persönlich bei sich schon aufgenommen haben, um zu zeigen, dass es nicht nur rechte, rassistisch, faschistoide deutsche Wut-Bürger gibt (die zwar zahlen, aber nicht mitdiskutieren dürfen sollen)
    Mal ganz davon abgesehen, dass der weitaus größte Teil der Flüchlingsströme erst durch den „Westen“, durch Umsetzung der Pseudostandarts der westlichen Wertegemeinschaft (z. B. durch R2P= Legitimierung von Angriffskriegen) in Ländern wie Syrien, Lybien, Libanon, Irak, Sudan, Jemen, Dafur, Somalia usw. usf. geschaffen wurde.
    Kurz: die USA (NATO) sind die Hauptverursacher dieses Flüchtlingselend und der kritische, zahlende deutsche, europäische Steuerzahler, der auf diese und andere Umstände hinweist ist der böse, herzlose, rassistische Nazi….
    Auch die Diskussion bezüglich der sicheren Herkunftsländer…..ach hört auf, alles rassistisches Nazigeschwätz….
    Die Linke, und ich sehe mich als Links, spielt gerade (unwissentlich?) den gesellschaftlichen Katalysator zur Schaffung einer wachsenden rechtslastigen Front in Deutschland…ja, in ganz Europa……sie trägt massgeblich zur Radikalisierung der bis dato moderaten Bevölkerungsschichten bei, die wohl in wessen Interesse sind?????
    Die Überschrift dieses Artikel ließ mich auf Selbstkritik und Horizonterweiterung des Autors hoffen. Leider wurde diese Hoffnung enttäuscht und es folge das..ich möchte sagen….übliche schwarz/weiß blabla….leider!!!

  2. Nein, wir müssen den Druck auch von den Bürgern an die Politik dadurch erhöhen, indem wir die Aufnahme von Asylbewerbern ablehnen!

  3. Rund eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die westlichen Konzerne verschärfen dieses Problem dadurch, dass sie Quellen und Brunnen in armen und trockenen Ländern aufkaufen und der Bevölkerung den kostenfreien Zugang dazu verwehren.
    Dafür müssen die westlichen Bevölkerungen die Verantwortung übernehmen. Sie müssen so bald wie möglich eine Milliarde Menschen bei sich aufnehmen, menschenwürdig unterbringen und ihnen von ihrem sauberen Trinkwasser abgeben.
    Das ist Menschenpflicht, und wer jetzt was dagegen sagt, ist ein verdammter Rassist.

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