Das Problem heißt Rassismus, nicht Islam

Die Anschläge von Paris sind ein grauenvolles Verbrechen und durch nichts zu rechtfertigen. Doch sie sollten nicht den Blick dafür verstellen, dass Muslime in den allermeisten Fällen Opfer und nicht Täter von Ausgrenzung und rassistischer Gewalt sind – in Frankreich ebenso wie in Deutschland. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung zu Einstellungen gegenüber dem Islam in Deutschland kommt zu besorgniserregenden Ergebnissen: 57 Prozent der nicht-islamischen Befragten halten den Islam für „sehr bedrohlich“ oder „bedrohlich“. Auf die Frage, ob der Islam in die westliche Welt passe, antworten 61 Prozent mit „eher nicht« oder „gar nicht«. In Deutschland war die Ablehnung des Islams schon 2012 größer als etwa in Großbritannien, wo es bereits Attentate von Islamisten gab, oder Frankreich.

Die wachsende Islamfeindlichkeit in Deutschland äußert sich nicht nur in alltäglicher Ausgrenzung, sondern zunehmend auch in Gewalt. 2009 wurde die schwangere Muslima Marwa El-Sherbini von einem Islamfeind als „Terroristin“ in einem Gerichtssaal erstochen. Seitdem gab es diverse Angriffe auf Kopftuchträgerinnen mit eindeutig rassistischem Hintergrund.Allein in den letzten zwölf Monaten kam es bundesweit zu 37 Anschlägen auf Moscheen, seit dem Jahr 2001 waren es über 200. Einige Moscheen benötigen mittlerweile denselben Polizeischutz wie etliche Synagogen. Beides ist mehr als verstörend in einem Land, in dem vor fast 80 Jahren Tausende Synagogen angezündet wurden. Fakt ist, dass Hass auf Muslime die aggressivste und am weitesten ausgreifende Form von Rassismus in Deutschland ist. Regierung und Medien haben daran einen großen Anteil: Seit Beginn des „Krieges gegen Terror“ 2001 wird von oben das Feindbild Islam kultiviert, Muslime unter den Generalverdacht des Terrorismus gestellt und Islam, Islamismus und Terrorismus in einen Topf geworfen.

Terrorismus ist Rechtsradikal

Das passiert, obwohl in Deutschland die allermeisten Terrorangriffe auf das Konto des Rechtsterrorismus von Gruppen wie dem NSU gehen. So leugnete auch der Verfassungsschutz bis 2011 in seinen jährlich herausgegebenen Berichten, dass es rechtsterroristische Strukturen oder organisierte rechte Gewalt in Deutschland gibt, obwohl ihm die Existenz des NSU schon damals bekannt war. Auch die Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und auf die Rechte von Homosexuellen stammen hauptsächlich nicht von islamischen Gläubigen, sondern von fundamentalistischen christlichen Strömungen. In Berlin demonstrierten am 20. September dieses Jahres 5000 sogenannte »Lebensschützer« gegen das Recht auf Abtreibung.

Trotz alledem wird der Islam zur Bedrohung Nummer Eins aufgebauscht. Ein Ziel ist die Legitimierung von mehrheitlich abgelehnten Bundeswehreinsätzen, wie dem Afghanistan-Einsatz oder die Einreihung in die „Anti-Terror-Allianz“ gegen den „Islamischen Staat“ im Nordirak. Negativ betroffen vom medialen Dauerfeuer über „islamistischen Terror“ sind aber die 4 Millionen Muslime in Deutschland, die offensichtlich mit dem brutalen Vorgehen des IS im Irak nicht das Geringste zu tun haben. Die Zerstörungen und unzähligen Toten dieser Kriege in mehrheitlich von Muslimen bewohnten Ländern sind ganz wesentlich in der Rekrutierungspropaganda djihadistischer Gruppen und stärken diese. Erste und wichtigste Maßnahme gegen ein Erstarken djihadistischer Kräfte ist das Ende dieser Militäreinsätze. Wer über Terrorismus redet, darf über die Außenpolitik des Westens nicht schweigen.

Pegida lenkt soziale Probleme um

Die negative Berichterstattung über den Islam hat über Jahre den Boden bereitet, auf dem Rechte wie AfD, HoGeSa (Hooligans gegen Salafismus) und Pegida jetzt aufbauen können. Neben der Mobilisierung gegen Flüchtlinge ist die Mobilisierung gegen Muslime Kernstück der Strategie der extremen Rechten in Deutschland. Die Fokussierung der rechten Szene auf das Thema „Islam“ ist wohl kalkuliert. Jürgen Gansel, der für die NPD zwischen 2004 und 2014 im Sächsischen Landtag saß, drückt die dahinterstehenden strategischen Überlegungen folgendermaßen aus: „Die nationale Opposition ist also wahltaktisch gut beraten, die Ausländerfrage auf die Moslemfrage zuzuspitzen (ohne sie freilich darauf zu beschränken) und die Moslems als Projektionsfläche für all das anzubieten, was den Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört.“ Das Mittel hierzu waren in den letzten Jahren vor allem Kampagnen gegen Moscheebauten sowie neuerdings auch Aktionen gegen eine Minderheitenströmung im Islam, nämlich die Salafitinnen und Salafiten.

Die erfolgreichen Pegida-Aufmärsche reihen sich hier ein. Pegida startete klein, mit 350 Teilnehmern am 20. Oktober. Doch weil sich anfangs kaum jemand den Islamfeinden entgegenstellte, konnte Pegida auf 20.000 Teilnehmer in Dresden anwachsen. Zynisch instrumentalisieren sie jetzt die Anschläge in Paris – und versuchen, verbreitete soziale Ängste auf Muslime und Flüchtlinge umzulenken. So fehlt auf keiner Pegida-Demo die Klage über niedrige Renten, kaputte Schulen und fehlende Kita-Plätze. Diese Zustände sind real, die Schuldzuweisung an Flüchtlinge und Muslime hingegen Demagogie.

Gemeinsam nach Dresden fahren

Die öffentliche Daseinsvorsorge ist tatsächlich bedroht – allerdings nicht durch Zuwanderer, sondern durch die Umverteilungspolitik der Regierungen für Reiche und Konzerne. Die ärmsten 50 Prozent der Haushalte verfügen lediglich über ein Prozent des gesamten Nettovermögens in Deutschland. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte nennen mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens ihr eigen. Dieser Anteil ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen – nicht zuletzt, weil die Regierungen der letzten Jahre für die Vermögenden die Steuern gesenkt haben. Dadurch hat die öffentliche Hand rund 236 Milliarden Euro verloren, insbesondere die Kommunen stehen finanziell mit dem Rücken an der Wand. Pegida spaltet die Opfer dieser Maßnahmen, notwendig wäre stattdessen ein gemeinsamer Kampf von Muslimen und Nicht-Muslimen gegen die Herrschenden.

Mittlerweile ist die gesamte deutsche rechtsextreme Szene aktiv und versucht, Pegida zu einer massenhaften Straßenbewegung gegen Muslime in Deutschland auszuweiten. So weit darf es nicht kommen, so weit muss es nicht kommen. Zehntausende haben sich in den vergangenen Wochen Pegida entgegengestellt – ein wichtiger erster Schritt. Doch solange die Islamfeinde in Dresden marschieren können, werden sie an Ausstrahlungskraft gewinnen. Deshalb sollten alle, die sich Sorgen wegen des Erstarkens der radikalen Rechten machen, zu einer Diskussion darüber zusammenfinden, wie wir uns Pegida in Dresden direkt gegenüberstellen und so zeigen können, dass die Straße nicht ihnen gehört. Wir sollten anstreben, gemeinsam nach Dresden zu fahren, um dem Spuk vor Ort ein Ende zu bereiten. Eine Bewegung von Muslimen und Nichtmuslimen gemeinsam gegen Krieg, Armut und Ausbeutung ist der einzig Erfolg versprechende Weg, um Hass und Gewalt zu überwinden.

Der Artikel erschien zuerst auf Marx21.de

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4 Antworten

  1. Hallo, ich habe kurz deinen Text überflogen und werde, wenn ich etwas mehr Zeit habe dazu näheres ausführen. Was ich hier jedoch vermisse, ist, dass nicht nur die Medien hier den Nährboden für Ausgrenzung und Anfeindungen, Rassismus gegenüber Ausländern, aber Vorallem gegenüber Muslimen gelegt hat. Ich erinnere an die Hetze in Magzinen von Stern, Spiegel, oder in Zeitungen von Bild,etc.,nein auch viele TV Sender sind mit dabei gewesen. Immer Islam mit Angst, Gewalt und Terror in Zusammenhang zu bringen, setzt sich eines Tages im Kopfe jedes Bürgers nieder ( gewollte Konditionierung ). es kann nicht sein, dass weltweite Medien recherchieren und behaupten dürfen, was sie für richtig halten. jedoch es oft entweder verpönt, verboten oder sogar untersagt wird, die öffentlichen Meinungen zu hinterfragen bzw. in Frage zu stellen. Wo kommen wir denn hin, wenn Meinungsfreiheit für einige gelten, jedoch noch lange nicht für jeden ?!

    Ich fordere jeden auf, zu sich und seinen Mitmenschen, Mitbürgern, aufrichtig zu sein und sich selber zu fragen: was weiß ich eigentlich über den Islam oder über Muslime und was habe ich irgendwo aufgeschnappt oder habe es von jemanden gehört ?
    Wenn ich mir die Slogans rechtsgesinnter Menschen anhöre, Kommentare Religionsfeindlicher Bürger zu Gemüte führe oder flacher Pegida Parolen, dann muss man ja echt Angst vor dem Islam haben. Ich war so mutig und hab mir die Mühe gemacht mich mit Muslimen zu unterhalten und mich etwas mit der Religion auseinander zu setzen. Ich bekam ein anderes Bild, als das der Mainstream Medien.
    Wir haben auch viele Schandflecke unserer Vergangenheit und Gegenwart, ich wünsche uns, dass wir unsere Zukunft anders gestalten und aus unseren Fehlern lernen. Ich hoffe nicht, dass wie damals Juden nun die Muslime demonisiert werden.

    da Pegida und Konsorten die Einhaltung der Gestze fordern möchte ich jeden deutschen Bürger an folgende Gesetze unserer Demokratier erinnern und auf erksam machen :

    http://www.bpb.de/nachschlagen/gesetze/grundgesetz/44187/i-die-grundrechte-art-1-19

  2. Rassismus ist ein Problem.Ein sehr großes.
    Ein anderes Problem sind die Wertvorstellungen in Bibel und Koran.Ebenfalls ein sehr großes.

    Allein die Tatsache, dass die Hälfte der Menschheit(alle nicht Männer) nach diesen Büchern Minderwertig sein soll, sagt doch alles.

    1. Es soll ja durchaus möglich sein, dass sich das ändert und nicht mehr alles so ausgelegt wird wie in den Büchern geschrieben. Das gilt übrigens für alle 3 monotheistischen Religionen, du nennst nur zwei. Von diesen Ist der Islam was seine religiösen Grundsätze angeht übrigens derjenige, der Frauen am wenigsten diskriminiert.

      1. Es gibt verschiedene Interpretationen in den Weltreligionen bzw. Ideologien, da sind Meinungsverschiedenheiten vorprogrammiert. Das ist die Vielfalt in den Religionen, es berücksichtigt u.a. auch die vorherrschende Kultur, Tradition, das Zeitalter und hängt mitunter davon ab, inwiefern die Leute bereit sind für Veränderungen. egal ob die Monotheistischen oder andere Religionen, wozu ich auch den Atheismus dazu zähle, jeder Mensch hat seine Ideologie. jedoch sollten wir niemanden unsere Ideologie aufzwingen, oder diese einschränken, bzw. auf unser Verständnis beschränken. Auch hat niemand eine Deutungshoheit über gewisse „Sachverhalte“ wie sie zu verstehen sind. Solange jeder mit dem Anderen in Frieden leben kann und keiner mehr Recht als der Andere hat ( ein sogenanntes Geburtsrecht). Wir sollten aufhören übereinander zu reden und anfangen miteinander Lösungen zu finden.

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