Sofia Leonidakis

Bremen wählt – Im Gespräch mit Sofia Leonidakis

Diesen Sonntag wird in Bremen die neue Bürgerschaft gewählt. Das kleinste deutsche Bundesland kämpft, ähnlich wie Hamburg, mit vielen Problemen: Wachsende Armut, die Schere in der Bildung geht weiter auseinander und einem Strukturproblem in der Wirtschaft. Alle Umfragen sehen einen deutlichen Zuwachs für FDP und die Linke, während die Grünen massiv verlieren. Auch die AfD wird nach Infratest dimap, nach Hamburg, das zweite Mal in ein westdeutsches Landesparlament einziehen, wohingegen Rot-Grün, mit einigen Verlusten, bestätigt wird. Wir sprachen mit der Linken-Kandidatin Sofia Leonidakis über das Panaschieren & Kumulieren, die Probleme Bremens, Rot-Grün und was eine Linke Opposition ausmacht.

Die Freiheitsliebe: Wie steht es um Bremen?

Sofia Leonidakis: Das eine Bremen gibt es gar nicht, denn Bremen ist tief gespalten. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig- und sie wächst weiter. Bremen ist trauriger Rekordhalter in vielen Bereichen: Spitzenreiter bei der Arbeitslosenquote, höchste Kinderarmut im Ländervergleich, Leiharbeitshochburg- die Liste ließe sich fortsetzen. Fakt ist, dass Bremen kaputt gespart wird. Der öffentliche Dienst unterliegt verpflichtenden jährlichen Personkürzungsquoten, was zur Folge hat, dass mittlerweile beispielsweise das Jugendamt seinen Aufgaben nicht mehr gerecht werden kann. Ein/e Sozialarbeiter/in dort betreut bis zu 80 Kinder mit Problemlagen- das kann man gar nicht schaffen. Auch im Bildungssystem gibt es eklatante Mängel: In Schulen wird berichtet, dass der Mathe-LK vor dem Abi ein halbes Jahr lang ausfällt, insgesamt fehlen mindestens 240 LehrerInnen. Die soziale Auslese in der Schule wird damit noch verschärft. Schon jetzt verlassen nur 15 Prozent der SchülerInnen aus armen Stadtteilen die Schule mit Abitur, in reichen Stadtteilen sind es 85 Prozent.  Die Kürzungspolitik gefährdet potenziell das Kindeswohl. Uns wird heute die Zukunft gestohlen mit dem Verweis auf Generationengerechtigkeit. Das ist absurd. Der rot-grüne Senat tut nichts dagegen- im Gegenteil. Es wird in Weltraumüberwachung zur Grenzabschottung investiert (2,5 Mio. bis 2021) oder es werden Luxuswohngebiete mit Autolift gebaut. Zentrale Plätze werden verhökert an Privatinvestoren- und der Rest kann sehen wo er bleibt.

Was sind „Bürger in Wut“? Bisher hört man nur unschöne Dinge über sie.

Die HassbürgerInnen sind eine ekelhafte Truppe aus Antiziganisten, Rassisten und Sozialneidern. Ihr Spitzenkandidat, Martin Korol, ist aus der SPD wegen übelster Hetze gegen Roma rausgeflogen, und das heißt schon was (Sarrazin ist ja immer noch Mitglied). Die HassbürgerInnen greifen vor allem die rassistische Mobilmachung gegen eine Einrichtung für jugendliche Geflüchtete in Bremen-Nord auf und betreiben sie an vorderster Spitze mit an. Vor wenigen Tagen haben sie in Anlehnung an PEGIDA am Bremer Hauptbahnhof einen „Spaziergang“ veranstaltet. Zum Glück ist unser permanenter Widerstand erfolgreich: Durch unsere „Wutbürger-wegtanzen“-Aktion waren wir viele und wir waren laut- so dass die HassbürgerInnen schon nach einer halben Stunde einpacken mussten. Trotzdem steht zu befürchten, dass sie gerade in Bremen-Nord, wo sich die soziale Spaltung extrem bemerkbar macht, erfolgreich auf Stimmenfang gehen. Dieser rechten Hetze kann meiner Ansicht nach nur durch soziale Gerechtigkeit der Wind aus den Segeln genommen werden. Das Versagen bei der Armutsbekämpfung in Bremen hingegen ist Wasser auf die Mühlen der RassistInnen.

Was wären deine ersten Projekte, wenn du in die Bürgerschaft kommst, die du umsetzen oder angehen willst?

Vorausgesetzt ich komme in die Bürgerschaft und ich bin dann für diesen Bereich zuständig: Dann würde ich mich gerne für die Einstellung der öffentlichen Finanzierung von Weltraumüberwachungsprojekten einsetzen, so lange diese noch von FRONTEX für die Grenzabschottung genutzt werden. Es ist ein Skandal, dass Bremen das auch noch unterstützt, wohl wissend, wofür diese Technologie verwendet wird. Und es ist scheinheilig, dann im Parlament Krokodilstränen angesichts der vielen Tausend Toten im Mittelmeer zu vergießen.

Du engagierst dich sehr im Bereich Antirassismus und in der Flüchtlingspolitik. In Hamburg brannte zuletzt eine Geflüchteten-Unterbringung. Ist so etwas in Bremen auch möglich? Oder ist die Situation hier eine andere?

Leider ist das durchaus möglich. Direkt vor den Toren Bremens, in Lilienthal, gab es auch schon einen Brandanschlag auf ein Gebäude, in dem Asylsuchende untergebracht waren. Und bei Versammlungen gegen die bereits erwähnte Jugendeinrichtung in Bremen-Nord, an denen ich zu Beobachtung teilgenommen habe, herrschte eine regelrechte Pogromstimmung, das habe nicht nur ich so wahrgenommen. Die Einrichtung wurde von einer „Bürgerwehr“ überwacht- reinste Schikane. Man kann von Glück reden dass bis heute nichts passiert ist. Die Hetze wird aber auch begünstigt durch einen völlig überforderten Bremer Senat. Schon seit 2011 kommen mehr Geflüchtete nach Bremen. Und seitdem versäumt der Senat, für angemessenen Wohnraum zu sorgen. Anstatt zu bauen werden Flüchtlinge in Massenunterkünften, Containersiedlungen, Turnhallen oder der Messehalle untergebracht. Das macht es Rassisten leicht, sie als Zielscheibe auszusuchen. Die Unterversorgung wird als Überlastung konstruiert- dabei kann und muss da mehr getan werden.

Kann die Linkspartei in Bremen eine ähnliche Rolle spielen wie im Bundestag, als stärkste Oppositionspartei und Whistler Blower des Landes? Oder wird es Verhandlungen für R2G geben, wie in Thüringen?

Die Wahl scheint eine Bestätigungswahl zu werden. Auch wenn die Grünen wahrscheinlich einige Prozentpunkte verlieren werden, wird die Koalitionsmehrheit wohl gesichert sein. Die CDU wird damit nach wie vor die größte Oppositionsfraktion sein, die Linke wird aller Voraussicht nach die viertstärkste Kraft. Die Koalitionsfrage hat sich bisher nicht gestellt, wir begreifen uns als einzige Oppositionsfraktion links der Koalition eher als diejenigen, die aufzeigen, wo was schief läuft.

Was sind deiner Meinung nach die größten Missstände in Bremen und Bremerhaven?

Der größte Missstand ist die schon erwähnte sozialökonomische Spaltung der Stadt, die sich auch räumlich widerspiegelt. Die Stadtteile sind wahnsinnig unterschiedlich. Im Zentrum steigen die Mieten permanent an, es gibt eine riesige Nachfrage und solvente MieterInnen, so dass Normal- oder GeringverdienerInnen dort kaum noch eine Chance haben, eine Wohnung zu finden. Sie ziehen an die Stadtränder- wo sich dann erstens die Probleme und zweitens die Stigmatisierung und häufen. Die KiTas und Schulen sind völlig unterbesetzt angesichts der Bedarfe, mit denen sie alltägich umgehen. Außerdem ist die Situation von Geflüchteten in Bezug auf Unterkunft, Schule, KiTa-Plätze oder Arbeitssuche dramatisch. Auch wenn der Senat sich damit brüstet, noch niemanden in Zelten untergebracht zu haben- es ist eine riesige Mangelverwaltung und Dauerversäumnis. Versäumt wurde, Wohnraum zu bauen und die Bildungsinstitutionen besser auszustatten.

Und besitzt die Linkspartei die Kompetenz dies zu ändern?

Wir fordern soziale Investitionen in KiTas und Schulen insbesondere in benachteiligten Stadtteilen.  Ob das möglich ist, ist eine Frage der Prioritätensetzung. Und es ist eine Frage des Grundrechts, dass die Lebensbedingungen überall gleich sein sollen. In Bremen haben junge Menschen definitiv nicht die gleichen Chancen wie anderswo. Bremen muss sich vom unsozialen Kürzungskurs verabschieden. Die Umfairteilung muss wieder auf den Tisch- und zwar dringend. Denn wenn heute in sozialen Bereichen gespart wird, wird die Armut von morgen zementiert. Diese Debatte muss angestoßen werden, in Deutschland ebenso wie Syriza diese Frage in Griechenland aufwirft. Das kann und das will die Linke.

Wir danken dir für das Gespräch.

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