Die Sehnsucht nach Einheit

Es war eine Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs: Nach Kriegsende versuchten die Organisationen der Arbeiterbewegung einen demokratischen Neuanfang in Ost und West. Doch der war nicht gewollt. Von Arno Klönne

Als nach dem Untergang des deutschen Faschismus in den vier Besatzungszonen und in Berlin das politische Leben wieder Form annahm, setzte sich binnen weniger Monate ein Parteienschema durch, das zu wesentlichen Teilen an die Verhältnisse in der Weimarer Republik erinnert: Eine kommunistische und eine sozialdemokratische Partei, in feindseliger Konkurrenz; daneben eine liberale Partei und eine christliche, diese nun allerdings – anders als die Zentrumspartei vor 1933 – nicht als nur katholische Formation, sondern als »Union«, die auch Protestanten anzog. In der sowjetischen Besatzungszone wurden dann KPD und SPD zur SED zusammengefügt und Bauernpartei sowie Nationaldemokratische Partei (NDPD) gegründet. In den westlichen Besatzungszonen entstanden etliche nationalkonservative Parteien rechts von der CDU/CSU, auch die Bayernpartei und das Rest-Zentrum mischten für eine Weile noch in der Parteienkonkurrenz mit. Vorherrschend war und blieb in der Bundesrepublik aber für lange Zeit das Spektrum »christlich/liberal/sozialdemokratisch/kommunistisch«, wobei die Kommunisten immer mehr an Bedeutung verloren. In der DDR etablierte sich über die Jahrzehnte das »Block«-System: SED, CDU, Liberal-Demokraten (LDPD), Bauernpartei, NDPD.

Nach dem Anschluss Ostdeutschlands an die Bundesrepublik trat hier die SPD wieder auf, die LDPD verwandelte sich in die FDP, und aus der SED wurde zunächst einmal die PDS. Und inzwischen existiert, durch den Zusammenschluss von PDS und (im Schwerpunkt westdeutscher) WASG die Partei DIE LINKE. Lässt sich also, von der Partei Die Grünen als Neuerung abgesehen, ein historisch langfristiges, dominantes deutsches Parteienschema konstatieren: zwei (mehr oder weniger) linke Parteien, eine christlich-bürgerlich-konservative Partei und eine liberale Partei?

»Jenseits des Kapitalismus«

Bemerkenswerterweise war dieses Schema für kurze Zeit durchbrochen, und zwar 1945/46, in der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs nach dem Zusammenbruch des deutschen Faschismus. Dieser Versuch einer neuen Konstruktion des parteipolitischen Lebens betraf in erster Linie diejenigen Kräfte, die aus der Tradition der Arbeiterbewegung kamen. Schon in den Tagen der Kapitulation der Dönitz-»Reichsregierung«, der das hitlerdeutsche System seine politische Konkursverwaltung überlassen hatte, regten sich vielerorts in der deutschen Bevölkerung erste politische Initiativen. Sie wollten einen »Neubau« der Demokratie, eine »Neuordnung« der gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen: »Antifaschistische Ausschüsse«, »Politische Komitees«, »Einheitsorganisationen«, »Betriebsausschüsse« und andere Ansätze politischer und sozialer Selbstverwaltung entstanden. Vieles daran hatte Ähnlichkeiten mit der Rätebewegung in Deutschland 1918/19.

Dass die aus der Katastrophe des deutschen Faschismus und den Trümmern des Krieges neu zu bauende Gesellschaft nach 1945 »jenseits des Kapitalismus« ihren Ort haben sollte, schien diesen frühen demokratischen Initiativen selbstverständlich. In jener Zeit sah sich sogar die CDU genötigt, der kapitalistischen Gesellschaftsordnung abzuschwören. Interessant (und meist vergessen) ist, dass alternative Formen der politischen und sozialen Organisation angestrebt und ausprobiert wurden.

Einheit der Arbeiterbewegung

Bei aller Vielfalt der regionalen Initiativen lassen sich folgende Grundlinien erkennen: Erstens sollten die politischen und weltanschaulichen Aufspaltungen der Arbeiterbewegung überwunden werden. Dies bedeutete vor allem: keine Feindschaft mehr zwischen Sozialdemokraten, Linkssozialisten und Kommunisten, stattdessen »Aktionseinheit« zwischen ihnen und womöglich organisatorischer Zusammenschluss; Einbeziehung auch des vor 1933 weitgehend an die Zentrumspartei gebundenen Arbeiterkatholizismus, der im Rheinland und in Westfalen stark verankert war.

Zweitens sollten die Gewerkschaften »Einheitsorganisationen« werden. Dies war damals nicht nur parteipolitisch und weltanschaulich gemeint, sondern auch so, dass gesamtgewerkschaftliche Ziele Vorrang haben sollten vor besonderen Interessen in den einzelnen Wirtschaftsbereichen, Branchen und Berufen. Drittens sollte die betriebliche Interessenvertretung nicht getrennt sein von den politischen Projekten und Aktivitäten der Arbeiterbewegung. »Demokratie auch in der Fabrik, in der Zeche, im Büro«, war die Zielvorstellung.

Hinter alledem stand die bittere Erfahrung, dass die deutsche Arbeiterbewegung mit ihren vor 1933 bestehenden Strukturen und Politikmustern nicht in der Lage gewesen war, dem Faschismus den Weg zu versperren. Ausgenommen die Gründung des DGB als »Einheitsgewerkschaft« (freilich nur im beschränkten Sinne) sind die Ansätze einer »anderen Arbeiterbewegung« in Deutschland unmittelbar nach dem Faschismus ohne Erfolg geblieben. Dies lag nicht nur an dem Gruppenegoismus und dem Beharrungsvermögen vieler »Altfunktionäre« aus den Organisationen der Weimarer Republik.

Besatzer verfolgen andere Pläne

Entscheidend war, dass die Besatzungsmächte das Sagen hatten und ihren jeweiligen Machtinteressen folgten. Weder die westlichen Besatzungsmächte, angeführt von den USA, noch die sowjetische Besatzungsmacht waren bereit, einer Bewegung von unten und ihren Organisationsansätzen freien Raum zu geben. Es ging ihnen dabei nicht nur um Vorsorge gegenüber befürchteten neonazistischen Unterwanderungen. Maßgeblich war der Wille, »Basisdemokratie« im besetzten Deutschland nicht zuzulassen. Die sowjetische Besatzungsmacht wollte auch die deutsche Linke strikt unter Kontrolle halten. Die westlichen Besatzungsmächte unter Regie der USA hatten nicht die Absicht, eine antikapitalistische Linke auf ihrem Terrain zu dulden.

Die historischen Umstände hatten diejenigen Deutschen, die eine »andere Arbeiterbewegung« wollten, in eine Position der Schwäche gebracht. Anders als beim Systembruch 1918 war die Niederlage des deutschen Imperialismus 1945 allein durch die militärische Kraft der gegnerischen Staaten und nicht auch durch eine revolutionäre Bewegung in Deutschland zustande gebracht worden. Dies ist in der Geschichte also gescheitert – aber das heißt nicht, dass die Motive und Ideen einer »anderen Arbeiterbewegung« in Deutschland gleich nach dem 8. Mai 1945, häufig im Widerstand oder in den Konzentrationslagern schon vorgedacht, für die Linke in der Gegenwart des Nach- und Neudenkens nicht wert seien. Damals wurden Fragen aufgeworfen, die noch immer nicht beantwortet sind.

Der Artikel erschien zuerst auf marx.21

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