Das Grass-Gedicht: Wo ist die deutsche Friedensbewegung? Wo die deutsche Linke?

Niema Movassat

Ich möchte Günter Grass danken. Danken für sein aufrüttelndes Gedicht. Danken für seine klaren Worte. Danken für seinen Mut, zu sagen, was man sagen muss. Wir stehen vor einem neuen Krieg im Nahen Osten. Einem Krieg, der alles, was bisher in der Region passiert ist, in den Schatten stellen kann.

Man hatte das Gefühl, die Mahner in diesem Land sind verstummt, die deutschen Medien seit Jugoslawien 1999 auf Krieg geprobt. Dann kam Grass und mahnte – und ein Tagesschau-Kommentar kritisierte die „meinungspolizeilichen Maßnahmen“ gegen ihn. Ein Schimmer Hoffnung keimt auf. Die Hoffnung, Widerstand gegen den drohenden Krieg entwickeln zu können und eine breite Öffentlichkeit gegen den Krieg zu erreichen und zu organisieren. Es ist an der deutschen Friedensbewegung und der deutschen Linken nun in die Offensive zu gehen.

Grass hat es geschafft, der herrschenden deutschen Politik einen gewaltigen Strich durch die Rechnung zu machen. Diese hoffte, schweigen zu können über das, was demnächst passieren könnte – nämlich ein verheerender Krieg im Nahen Osten. Sie hat gehofft, verschweigen zu können, dass es ihre Waffen sein werden, die dabei zum Einsatz kommen werden, so v.a. ihre atomar gerüsteten U-Boote.

Doch was tut die deutsche Friedensbewegung, was tun zahlreiche Linke? Einige freuen sich über Kommentare wie den von Frank Schirrmacher in der FAZ oder noch besser über den Antisemitismus-Vorwurf des islamophoben Berufspolemikers  Henyrk M. Broder in der WELT. Wo ist die Friedensbewegung, die sich klar gegen einen Krieg gegen den Iran positioniert? Wo ist die deutsche Linke, die nach Afghanistan und dem Irak hätte begreifen müssen, dass „Terrorismus“ und angebliche Massenvernichtungswaffen Kriegsgründe sind und nicht Gegenstand einer faktenbasierten internationalen Politik? Wie konservativ, wie rechts, sind mittlerweile Teile der deutschen Linken, wenn sie den Schirrmachers und Broders hinterherlaufen? Sind nun FAZ und DIE WELT Beweisführungsstücke für linke Politik? Welchen Inhalt haben friedenspolitische Positionen, wenn sie völlig beliebig werden?

Die deutsche Linke und die Friedensbewegung müssten sich schützend und mit aller Kraft vor Grass werfen. Nein, nicht weil es Grass ist – meine Sympathie für den alten SPD-Wahlkämpfer hält sich auch in Grenzen. Auch hält sich meine Sympathie in Grenzen für jemanden, der SS-Mitglied war und dies jahrzehntelang verschwiegen hat. Aber es geht nicht um seine Biografie, nicht um seinen Werdegang, nicht um seine sonstigen politischen Ansichten. Der Angriff auf Grass, die Antisemitismus-Vorwürfe, die Beleidigungen, das Niederschreiben, all das ist ein Generalangriff der herrschenden Medien in diesem Land auf friedenspolitische Positionen. Mit Grass haben sie die eine Figur, die genug Angriffsfläche bietet und ihnen das Spiel leicht macht. Und sowieso gilt in deutschen Medien viel zu oft, dass jede Kritik am Staate Israel relativ schnell als Antisemitismus qualifiziert wird (wobei man vorher betont, dass natürlich kritisiert werden darf…). Wo aber nun der Antisemitismus in Grass‘ Gedicht sein soll, erschließt sich mir auch beim zehnten Lesen nicht. Allenfalls eine gewisse Vereinfachung – aber es ist ein Gedicht und keine politische Analyse! Und Grass will aufrütteln gegen einen drohenden Krieg. Für die Analyse sind andere zuständig, diese sind nun aufgefordert sich endlich in Bewegung zu setzen.

Was mich wundert: Ist es so schwer zu verstehen, dass die deutschen Medien nach 13 Jahren der Kriege (seit dem Jugoslawien-Krieg von 1999) jeden einzelnen positiv begleitet haben? Die Dokumentationen über die Kriegslügen wurden – wenn sie sie überhaupt gesendet haben – auf das Nachtprogramm verlegt, Wie kurz ist das Gedächtnis von Menschen? Aber zu Grass‘ Gedicht möchte ich noch einige Überlegungen und Gedanken anführen:

Es sind vor allem Fakten, die in seinem Gedicht zur Sprache kommen. Fakten, wie das bis heute dem Iran nicht nachgewiesen worden ist, die Atombombe zu bauen. Fakten, die das US-Militär und -Geheimdienste zuletzt zum Besten gaben (bspw. erst jüngst die CIA). Dennoch sagen einige Journalisten: „Naja, der Beweis ist erst da, wenn die Atombombe da ist.“ Wenn es aber so ist, dann lasst und jedes Land bombardieren, das keine Atombombe hat. Jedes könnte irgendwann die Atombombe haben. Scheint es stattdessen doch bequemer zu sein, sich an der altbewährten Polemik der Broders und ihrer geistesverwandten Kriegstreiber zu orientieren?

Grass kritisiert die deutsche Politik. Er kritisiert, dass Deutschland atomwaffenfähige U-Boote liefert, was ebenfalls ein Fakt ist. Da schreien einige Journalisten: „Die sind nur als Sekundärschlagwaffe gedacht, falls Israel mit Atombomben angegriffen wird.“ Woher wisst Ihr das, frage ich mich? Ein U-Boot, das Atomwaffen trägt, kann doch jederzeit zuschlagen. Übrigens wird auch der Besitz von Atombomben stets damit begründet, man wolle verteidigungsfähig sein. Wer behauptet schon von sich selbst Atomwaffentechnologie zu haben für einen Erstschlag?

Und dann sind da die Menschen, die sagen „Grass betreibt Propaganda, wenn er im Falle eines Krieges von der Auslöschung des iranischen Volkes spricht“. Erstens: Ja, Grass hat möglicherweise hier übertrieben. Niemand hat das Ziel formuliert, dass iranische Volk auszulöschen. Wohl aber gibt es Pläne für Bombardierungen, die weit über die atomaren Anlagen hinausgehen. Die NATO hat solche Pläne seit Jahren. So soll auch die iranische Infrastruktur getroffen werden. Zweitens aber wollte Grass sicherlich provozieren, auch ein Aspekt von Kunst. Aber man kann die Sache auch anders aufmachen: Ist „Auslöschung“ ein so fernliegendes Wort, wenn wir darüber reden, dass bald iranische Atomanlagen bombardiert werden könnten? Wissen wir seit Fukushima nicht, dass Radioaktivität sich schnell verbreitet? Haben wir alles vergessen, was vor wenigen Monaten diskutiert worden ist? Sicherlich, unmittelbar werden wenig Menschen sterben bei einer Bombardierung von Atomanlagen. Aber wie viele werden an den Folgen der Verstrahlung sterben? Wie viele Kinder werden krank auf die Welt kommen, weil das Erbgut der Eltern durch die Strahlung verändert wurde?

Dann spricht Grass davon, dass Israel den Weltfrieden gefährdet. Da sagen einige: „Zumindest hätte er sagen müssen, dass auch der Iran den Weltfrieden gefährdet“. Aber ich frage: Wer droht die ganze Zeit mit Krieg? Keine Frage, das iranische Regime besteht zum Teil aus Holocaustleugnern, aus Verbrechern, die Menschenrechte mit Füßen treten. Aber wann hat es ernsthaft mit Krieg gedroht – und nicht nur mit Vergeltung im Falle eines Krieges oder mit Maßnahmen wie der Blockade der Seestraße von Hormus? Abgesehen davon ist die „Gefährdung des Weltfriedens“ eine gängige Formulierung aus der UN-Charta, jede UN-Intervention wird mit der „Gefährdung des Weltfriedens“ argumentiert. Es ist somit ein juristischer Begriff, es geht nicht darum, dass weltweit der Frieden gefährdet ist, sondern regionale Konflikte reichen hierfür schon. Doch abgesehen davon hätte ein Krieg tatsächlich gravierende globale Auswirkungen!

Denn niemand fragt zurzeit: Was für eine Eskalation wird der Krieg gegen den Iran auslösen? Gerade hier zeigt sich, welche dramatischen Folgen ein Angriff Israels und der USA auf den Iran haben würde. Werden iranische Truppen einmarschieren in Bündnisstaaten der USA oder in Staaten in denen US-Truppen stationiert sind? Wird der Irak sich an die Seite des Iran stellen? Wird Syrien noch brutaler gegen seine Opposition vorgehen, um dann loszuschlagen? Wie werden die saudischen Truppen antworten, hochgerüstet durch die USA (und bald auch durch deutsche Kampfpanzer)? Kurz gesagt: Wir stehen vor einem gewaltigen Flächenbrand. Vielleicht sogar, keiner will es hoffen, dem Einstieg in einen Weltkrieg. Doch nicht hören, nicht sehen, nicht verstehen wollen – das scheint weit verbreitet.

Grass verdient keine Schelte. Die Schelte verdienen diejenigen, die gegen ihn schießen, die einen Krieg wollen oder billigend in Kauf nehmen. Um deutlich zu sein: Günter Grass verdient „eher mehr Preise als weniger“ (Thomas Nehls, Tagesschau-Kommentar).Wie wäre es tatsächlich mit dem Friedensnobelpreis?

Ein Gastbeitrag von Niema Movassat, der für die Linke im Bundestag sitzt.
Neben diesem Artikel hat er ein Video aufgenommen, in dem er klare Position zu einem drohenden Krieg bezieht!

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21 Antworten

  1. das schweigen der friedensbewegung und grosser teile der linken war schon seit den massenmörderischen nato-hilfen für lybien mehr als peinlich. gleiches gilt auch für die destabilisierungsversuche in syrien und etlichen anderen staaten nordafrikas. und – obwohl ich auch kein verehrer des g. grass bin, wenn da jemand mit gewicht öffentlich gegen militarismus und krieg stellung bezieht und auf die dramatischen zustände in nahost hinweist, zu den anfeindungen der mainstream- und anderer üblen medien zu schweigen, zeigt den jämmerlichen zustand der friedensbewegung. zum ak shalom muss man wohl nichts weiter sagen.

  2.  http://www.juedische-stimme.de/?p=687Mit
    Recht weist Grass auf die überlegene Stärke der vierten Atommacht des
    Staates Israel und die Gefahr eines tödlichen Kriegs, der mit oder ohne
    Unterstützung der USA den ganzen Nahen Osten in Mitleidenschaft ziehen
    und möglicherweise auf die restliche Welt übergreifen würde.

    Wir
    verteidigen das Recht aller deutscher Bürger und Bürgerinnen die
    menschenverachtende Politik des Staates Israel zu kritisieren, ohne als
    Antisemiten diffamiert zu werden.

    1. Wer ist denn „wir“?
      Etwa sie und der klägliche Rest von ca. drei Dutzend nützlichen Idioten, rund um Verleger und Melzer – dem Vadder Abraham aller durchgeknallten Judenhasser im deutschsprachigen Raum™ – welche es sich anscheinend zur Lebensaufgabe gemacht haben, „das Recht aller deutscher Bürger und Bürgerinnen“ zu verteidigen“, jederzeit übelste antisemitische Grütze abzusondern, ohne dabei als Antisemiten bezeichnet zu werden. 
      Also eine Art verquerer Wettkampf um die begehrten Fensterplätze im „letzen Waggon“?

  3. Ein gelungener Kommentar!
    Es wird den Deutschen doch immer vorgeworfen in der Nazizeit weggeschaut zu haben… jetzt schaut einer mal hin und thematisiert einen drohenden Krieg – und als Dank gibt’s die Medienkeule!
    Ich sage: Danke Herr Grass!!

  4.      Schön, dass Günter Grass eine Steilvorlage für jede Art von Satire geliefert hat:
    Es wäre ja wirklich eine Ironie des Schicksals, wenn es den “Juden” (Israelis) gelänge, die ersten und letzten Arier dieser Welt (Iraner = “Arier”) mit Atombomben auszulöschen (oder umgekehrt: wenn die Iraner Hitler zu Ende führen würden).
    Mein Gott, in was für einer primitiven Welt überall (mit Begriffen wie “Juden”, “Deutschen”, “Arier”, “Iraner”, etc.) muss ich denn überhaupt leben?
    Schafft endlich alle Nationen und “Rassen” ab (sowie jegliches Denken, das mit Begriffen wie “Juden”, “Arier”, “Deutschen” etc. zu tun hat!).
    Ich will endlich einmal in einer Welt leben ohne diesen jüdisch-christlich-muslimisch-kapitalistisch-kommunistischen Blödsinn und Schwachsinn überall!!!
    Jede Religion (auch die jüdische als die älteste…) ist nicht Opfer, sondern Täter!!
    Nehmt euch mal die Amazonas-Indianer (Pirahas) zum Vorbild: die kennen keine „Geschichte“, keine Mathematik und auch keine Ökonomie — und daher auch keine industriell organisierten Kriege und Genozide (etc.).
    Diese Leute sind viel zivilisierter als alles, was ich mir anhören muss auf der (fast) ganzen Welt!

  5. Ich kann nicht glauben was ich hier lese…Wer bedroht denn hier wen? Wer möchte den wen von der Landkarte ausradieren ? Ihr seid doch naive Traumtänzer…Die Israelis und die restliche Welt hat leider schon viel zu lange untätig zugesehen wie diese Irren in Theran an einer Atombombe basteln !

  6. die  heftigen reaktionen der medien und ihrer politisch-intelektuellen  helfers-helfer zeigen einmal mal mehr unsere  realität . weltweit setzt  sich immer mehr ein finanzidiologisches  diktat  durch . meschen wie herr grass stehen nicht allein sondern bilden die mehrheitliche meinung , nicht nur in diesem land .
    wollen wir  in zukunft  ein menschenwürdiges leben zurückgewinnen so bedarf das aller  menschen in deutschland.
    ich hoffe  das wir alle herausfinden, aus der lügenmatrix (9.11.) welche uns auch in anderen historischen zusammenhängen ständig verordnet wird.
    dazu brauchen wir noch mehr mutige wie herrn Movassat oder hernn Grass und vieleicht, wird dann in den nächsten 20 jahren  ,das kartenhaus der weltdiktatur zusammenbrechen und die menschheit wird begreifen ,das sie  viele jahrhunderte unter machtmißbrauch leben mußte. 
    ich nenne es die ,,Fratze der Macht“  welche  vor nichts zurückscheut und sich keiner Masquerade zu schade ist.
    egel ob relegionen oder politische  ideen wie auch systeme alle waren nur instrumente einer immer selben machtelite .

  7. Hallo,

    Sie irren doppelt: Es gibt weder ein aktuelles Grass“Gedicht“ noch seit  dem NATO-Bombardement Beograds Mai 1999 „die deutsche Friedensbewegung“,

    mit freundlichem Gruß

    F. Schwarze

  8. “ Wo ist die Friedensbewegung, die sich klar gegen einen Krieg gegen den Iran positioniert?“, fragt der Autor. Ich möchte ihm antworten: Sehen Sie sich die Ostermärsche an. Sehen Sie sich aus den Websites der Friedensforschung und Friedensforschung um, dann werden Sie merken, dass dort längst für Grass und noch viel länger gegen die Kriegsdrohungen gegen Iran Stellung bezogen wurde.
    Beispiele gefällig?
    „Ostermarschierer: Weil Grass Recht hat …“
    http://www.ag-friedensforschung.de/bewegung/grass.html
    „Hände weg von Iran und Syrien!“
    http://www.ag-friedensforschung.de/bewegung/baf/Iran-Syrien-Aufruf.pdf
    Mit besten Grüßen
    Peter Strutynski (AG Friedensforschung und Bundesausschuss Friedensratschlag)

  9. Hier ist ein Beitrag auf einem Blog, den man nachdenklich lesen sollte. Über die Person G.G.
    Tag-Archiv für ‚g¼nter-grass‘ « Lyzis‘ Welt

  10. Am 15 Oktober 1892 schrieb Nobel: „Ich fange an zu glauben,
    daß die einzige wirkliche Lösung eine Konvention wäre, durch die die
    Regierungen sich verpflichten, gemeinsam jedes angegriffne Land zu
    verteidigen.“ Weiter schrieb er „Früher waren die Regierungen noch beschränkter
    und draufgängerischer als die Untertanen. Heute scheint es mir, als ob die
    Regierungen sich bemühten, das idiotische Aufbrausen eines Publikums zu
    beruhigen, das von böswilligen Zeitungen bearbeitet wird.“  Meine Frage: Ist heute gestern?

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